Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
abgehalten in Gegenwart von anderen, deren Vorstellungen er ablehnte und die uns mit all diesem Gekicher und Geschniefe behelligen würden, über das hinausging, was er zu ertragen bereit war.
Auch Brillantringe kamen nicht in Frage. Ich sagte ihm, dass ich noch nie einen haben wollte, was stimmte, weil ich noch nie daran gedacht hatte. Er sagte, das sei gut, er habe gewusst, ich sei nicht diese blöde, konventionelle Art von Mädchen.
Es war besser, mit dem gemeinsamen Abendessen aufzuhören, nicht nur wegen des Geredes, sondern auch, weil es schwer war, auf nur eine Lebensmittelkarte genug Fleisch für zwei zu bekommen. Meine Karte stand nicht zur Verfügung, da ich sie der Küchenleitung – also Marys Mutter – ausgehändigt hatte, als ich im San anfing.
Besser kein Aufsehen erregen.
Natürlich vermuteten alle etwas. Die älteren Schwestern wurden freundlich, und sogar die Oberin schenkte mir ein gequältes Lächeln. Natürlich brüstete ich mich auf bescheidene Weise, fast ohne es zu wollen. Ich gewöhnte mir an, in mich gekehrt zu sein, mit samtener Stille und gesenktem Blick. Mir war nicht recht klar, dass diese älteren Frauen auf der Lauer lagen, um zu sehen, welche Wendung die Beziehung nehmen würde, und dass sie bereit waren, sich zu empören, sollte der Doktor beschließen, mich fallenzulassen.
Die Schwesternhelferinnen dagegen waren rückhaltlos auf meiner Seite und neckten mich, sie sähen Hochzeitsglocken in meinen Teeblättern.
Der Monat März war grimmig und hinter den Türen der Heilstätte geschäftig. Das war immer der schlimmste Monat für schwere Rückschläge, sagten die Hilfsschwestern. Aus irgendeinem Grund setzten sich etliche in den Kopf, dann zu sterben, nachdem sie es durch die Attacken des Winters geschafft hatten. Wenn ein Kind nicht zum Unterricht erschien, wusste ich nicht, ob sich sein Zustand arg verschlechtert hatte oder ob es nur wegen des Verdachts einer Erkältung vorübergehend das Bett hüten musste. Ich hatte mir eine aufstellbare Schultafel beschafft und die Namen der Kinder rundum auf den Rand geschrieben. Jetzt brauchte ich nie die Namen der Kinder abzuwischen, deren Abwesenheit von Dauer sein würde. Andere Kinder taten das für mich, ohne es zu erwähnen. Sie hatten die Verhaltensregeln begriffen, die ich noch lernen musste.
Der Doktor fand jedoch Zeit, einige Vorkehrungen zu treffen. Er schob mir einen Zettel unter der Tür meines Zimmers durch, ich sollte mich für die erste Aprilwoche bereitmachen. Falls keine schwere Krise eintrat, konnte er dann ein paar Tage erübrigen.
Wir fahren nach Huntsville.
Nach Huntsville fahren – unser Geheimwort für heiraten.
Für uns hat der Tag begonnen, den ich ganz bestimmt mein Leben lang in Erinnerung behalten werde. Ich habe mein grünes Kreppkleid aus der chemischen Reinigung geholt und sorgfältig aufgerollt in meine Reisetasche gepackt. Meine Großmutter hatte mir den Trick beigebracht, Kleider fest zusammenzurollen, was viel besser als zusammenlegen war, um Knitterfalten zu verhindern. Vermutlich werde ich mich irgendwo auf einer Damentoilette umziehen müssen. Ich halte Ausschau nach frühen Wildblumen am Straßenrand, die ich für einen Strauß pflücken kann. Wird er damit einverstanden sein, dass ich einen Brautstrauß habe? Aber sogar für Sumpfdotterblumen ist es zu früh. Entlang der leeren, gewundenen Straße ist nichts weiter zu sehen als dürre schwarze Fichten, Inseln aus Wacholdergestrüpp und Sumpflöcher. Und in den Straßengräben ein wirres Durcheinander der Gesteine, die mir hier inzwischen vertraut sind – blutfleckiges Eisenerz und schieferiger Granit.
Das Autoradio läuft und spielt triumphale Musik, denn die Alliierten kommen Berlin immer näher. Der Doktor – Alister – sagt, dass sie sich zurückhalten, um die Russen als Erste reinzulassen. Er sagt, dass es ihnen leidtun wird.
Jetzt, wo wir aus Amundsen so weit fort sind, merke ich, dass ich ihn Alister nennen kann. Das ist die längste Fahrt, die wir je zusammen unternommen haben, und mich erregt seine männliche Missachtung – die sich, wie ich inzwischen weiß, jäh ins Gegenteil verwandeln kann – und seine unauffällige Geschicklichkeit als Fahrer. Ich finde es aufregend, dass er Chirurg ist, obwohl ich das nie zugeben würde. Im Augenblick glaube ich, für ihn könnte ich mich in irgendein Sumpf- oder Schlammloch legen oder spüren, wie meine Wirbelsäule gegen irgendeine Felswand entlang der Straße
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