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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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wenigen verkündeten, sie nähmen an, dass sie jetzt, wo er so hoch hinauf heiratete, nicht mehr gut genug seien, und sie würden ihm in Zukunft einfach aus dem Weg gehen. Falls sie daraufhin ein abstreitendes oder begütigendes Wort von ihm erwarteten, so erhielten sie es nicht. Soll mir recht sein, war mehr oder weniger das, was er sagte. Zeit für einen Neuanfang. Isabel sagte, sie könne weiter unterrichten, bis Ray das College abgeschlossen und seinen Platz gefunden hatte, um zu tun, was immer ihm zu tun vorschwebte.
    Aber der Plan musste geändert werden. Es ging ihr nicht gut. Anfangs dachten sie, es seien die Nerven. Der ganze Wirbel. Das blödsinnige Tamtam.
    Dann kamen die Schmerzen. Schmerzen jedes Mal, wenn sie tief Luft holte. Schmerzen unter dem Brustbein und in der linken Schulter. Sie kümmerte sich nicht darum. Sie witzelte über Gott, der sie für ihr Liebesabenteuer bestrafte, und sagte, dass er, Gott, seine Zeit verschwendete, da sie nicht mal an ihn glaubte.
    Sie hatte etwas namens Perikarditis. Es war ernst, und sie hatte es zu ihrem Schaden ignoriert. Sie konnte davon nicht geheilt werden, aber damit weiterleben, wenn auch unter Schwierigkeiten. Sie durfte nie mehr unterrichten. Jede Ansteckung war lebensgefährlich, und wo schwirrten mehr Erreger herum als in einem Klassenzimmer? Jetzt war es an Ray, für sie zu sorgen, und er übernahm den Posten eines Wachtmeisters in dieser Kleinstadt namens Maverley, gleich jenseits der Grey-Bruce-Grenze. Er hatte nichts gegen die Arbeit, und sie hatte – nach einer Weile – nichts gegen ihr zurückgezogenes Leben.
    Nur über eines sprachen sie nicht. Jeder von ihnen fragte sich, ob es dem anderen etwas ausmachte, dass sie keine Kinder bekommen konnten. Ray kam der Gedanke, dass diese Enttäuschung vielleicht etwas mit Isabels Wunsch zu tun hatte, alles über das Mädchen zu hören, das er an Samstagabenden nach Hause bringen musste.
    »Das ist ungeheuerlich«, sagte sie, als sie von dem Filmverbot hörte, aber sie war noch empörter, als er ihr erzählte, dass das Mädchen aus der Highschool genommen worden war, um zu Hause zu helfen.
    »Und du sagst, sie ist intelligent.«
    Ray konnte sich nicht erinnern, das gesagt zu haben. Er hatte gesagt, dass sie unheimlich schüchtern war, so dass er sich auf dem Weg mit ihr den Kopf nach einem Gesprächsthema zerbrechen musste. Einige Fragen, die ihm einfielen, gingen gar nicht. Zum Beispiel: Was ist dein Lieblingsfach in der Schule? Das gehörte der Vergangenheit an, und jetzt war nicht mehr wichtig, ob ihr etwas gefallen hatte. Oder: Was wollte sie mal machen, wenn sie erwachsen war? In vieler Hinsicht war sie bereits erwachsen, und ihr Weg war ihr vorgezeichnet, ob sie wollte oder nicht. Auch die Frage, ob es ihr in dieser Stadt gefiel und ob sie sich nach dem Ort zurücksehnte, wo sie vorher gelebt hatte – sinnlos. Und sie waren schon ohne Ausschmückungen die Namen und das Alter ihrer jüngeren Geschwister durchgegangen. Als er sich nach Haustieren erkundigte, einem Hund oder einer Katze, berichtete sie, dass es keine gab.
    Schließlich richtete sie eine Frage an ihn. Sie fragte, worüber die Leute im Kino an dem Abend gelacht hatten.
    Er war der Meinung, er sollte sie nicht daran erinnern, dass sie eigentlich nichts gehört haben durfte. Aber ihm fiel nicht ein, was komisch gewesen sein konnte. Also sagte er, dass es etwas Blödes gewesen sein musste – man konnte nie wissen, was die Leute zum Lachen brachte. Er sagte, dass er nicht so vertraut mit den Filmen war, da er immer nur kurze Ausschnitte sah. Er verfolgte selten die Handlung.
    »Handlung«, sagte sie.
    Er musste ihr erklären, was das bedeutete – nämlich Geschichten erzählen. Von da an gab es keine Probleme mit dem Gesprächsstoff. Er brauchte sie auch nicht zu warnen, dass es unklug sein könnte, etwas davon zu Hause zu berichten. Sie verstand. Es wurde ihm nicht abverlangt, irgendeine bestimmte Geschichte zu erzählen – was er ohnehin kaum gekonnt hätte –, sondern ihr zu erklären, dass die Geschichten oft von Ganoven und Unschuldigen handelten und dass es den Ganoven im Allgemeinen anfangs recht gut gelang, ihre Verbrechen zu begehen und Leute reinzulegen, die in Nachtclubs (die waren so was wie Tanzdielen) sangen oder manchmal, Gott weiß, warum, auf Berggipfeln oder in anderen unwahrscheinlichen Landschaften und damit den Fortgang der Handlung aufhielten. Hin und wieder waren die Filme in Farbe. Mit prachtvollen Kostümen,

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