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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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Schwierigkeiten hatte, so erfuhr ich davon nichts.
    Blitzee wartete immer an der Straße darauf, dass sie nach Hause kam.
    Ich ging nicht in den Kindergarten, weil meine Mutter kein Auto hatte. Aber es machte mir nichts aus, nicht mit anderen Kindern zusammen zu sein. Caro, wenn sie nach Hause kam, genügte mir. Und meine Mutter war oft zu Spielen aufgelegt. Sobald es in dem Winter schneite, baute sie mit mir einen Schneemann, und sie fragte: »Sollen wir ihn Neal nennen?« Ich sagte ja, und wir steckten alles Mögliche in ihn hinein, damit er komisch aussah. Dann kamen wir überein, dass ich, wenn sein Auto kam, aus dem Haus rennen und rufen sollte: Da ist Neal, da ist Neal!, aber auf den Schneemann zeigen sollte. Was ich tat, aber Neal stieg wütend aus dem Auto und brüllte, er hätte mich überfahren können.
    Das war eins der wenigen Male, wo ich erlebte, dass er sich wie ein Vater verhielt.
    Diese kurzen Wintertage müssen mir sonderbar vorgekommen sein – in der Stadt gingen in der Dämmerung die Laternen an. Aber Kinder gewöhnen sich an Veränderungen. Manchmal fragte ich mich, was wohl mit unserem anderen Haus war. Nicht, dass ich es vermisste oder wieder dort wohnen wollte –, ich wunderte mich nur, wo es geblieben war.
    Die schönen Stunden meiner Mutter mit Neal dauerten bis in die Nacht. Wenn ich wach wurde und auf die Toilette musste, rief ich nach ihr. Dann kam sie, glückstrahlend, aber gar nicht in Eile, hatte irgendein Stück Stoff oder Tuch um sich gewickelt und verströmte einen Geruch, den ich mit Kerzenlicht und Musik in Verbindung brachte. Und mit Liebe.
     
     
    Etwas geschah, das nicht gerade beruhigend war, aber zu der Zeit versuchte ich nicht, dahinterzusteigen. Blitzee, unser Hund, war nicht sehr groß, aber eigentlich auch nicht klein genug, um unter Caros Mantel zu passen. Ich weiß nicht, wie Caro es fertigbrachte. Nicht ein Mal, sondern zwei Mal. Sie versteckte den Hund unter ihrem Mantel und nahm ihn mit in den Schulbus, und dann, statt direkt in die Schule zu gehen, brachte sie Blitzee zurück zu unserem alten Haus in der Stadt, das nicht mal eine Querstraße weit weg war. Dort fand mein Vater den Hund, im Wintergarten, der nicht abgeschlossen war, als er zu seinem einsamen Mittagessen nach Hause kam. Alle staunten, wie Blitzee dorthin gelangt war, den Weg nach Hause gefunden hatte wie ein Hund in einer Geschichte. Caro machte am meisten davon her, behauptete, den Hund den ganzen Morgen über nicht gesehen zu haben. Aber dann beging sie den Fehler, es noch einmal zu versuchen, vielleicht eine Woche später, und diesmal wurde sie zwar von niemandem im Bus oder in der Schule verdächtigt, aber von unserer Mutter.
    Ich kann mich nicht erinnern, ob unser Vater uns Blitzee zurückbrachte. Ich kann ihn mir nicht im Wohnwagen vorstellen oder an der Tür des Wohnwagens oder auch nur auf der Straße dorthin. Vielleicht fuhr Neal zu dem Haus in der Stadt und holte den Hund ab. Nicht, dass sich das leichter vorstellen lässt.
    Falls sich das so anhört, als wäre Caro die ganze Zeit über unglücklich gewesen oder hätte ständig etwas ausgeheckt, so entspricht das nicht der Wahrheit. Wie ich schon erwähnte, versuchte sie zwar, mich abends im Bett zum Reden zu bringen, aber sie nörgelte nicht andauernd herum. Es entsprach nicht ihrem Naturell, lange zu schmollen. Sie war viel zu sehr darauf aus, einen guten Eindruck zu machen. Sie wollte von allen gemocht werden; es gefiel ihr, die Luft in einem Raum aufzuwirbeln mit dem Versprechen von etwas, das man sogar Ausgelassenheit nennen konnte. Sie machte sich darüber mehr Gedanken als ich.
    Sie kam wesentlich mehr nach unserer Mutter, denke ich heute.
    Es muss einiges Nachbohren gegeben haben, was sie mit dem Hund gemacht hatte. Ich glaube, ich kann mich an einiges davon erinnern.
    »Ich wollte einen Streich spielen.«
    »Willst du lieber bei deinem Vater leben?«
    Ich glaube, das wurde gefragt, und ich glaube, sie sagte nein.
    Ich fragte sie nichts. Was sie getan hatte, kam mir nicht merkwürdig vor. So ist es wahrscheinlich bei jüngeren Geschwistern – nichts, was das seltsam stärkere ältere Kind tut, scheint ungewöhnlich zu sein.
    Unsere Post wurde in einem Blechkasten auf einem Pfosten deponiert, unten an der Straße. Meine Mutter und ich gingen jeden Tag dorthin, außer bei besonders schlechtem Wetter, um nachzuschauen, was für uns da war. Wir taten das, wenn ich von meinem Mittagsschläfchen aufstand. Manchmal war das das einzige

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