Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Ordnung.
»Passt zu meinen Prinzipien.«
Ich sprach ihm für nichts davon meine Anerkennung aus, aber, um die Wahrheit zu sagen, ich bezweifle, dass er das von mir erwartete.
»Jedenfalls glaube ich nicht, dass meine Lebensweise so interessant ist. Ich glaube, du wirst wissen wollen, wie es passiert ist.«
Ich wusste nicht, was ich sagen sollte.
»Ich war total bekifft«, sagte er. »Und außerdem kann ich nicht schwimmen. Da, wo ich aufgewachsen bin, gab’s nicht viele Swimmingpools. Ich wäre ertrunken. War es das, was du wissen wolltest?«
Ich sagte, dass er eigentlich nicht derjenige sei, über den ich mir Gedanken machte.
Dann stellte ich ihm als drittem Menschen die Frage: »Was hatte Caro deiner Meinung nach im Sinn?«
Die Therapeutin hatte geantwortet, das könne niemand wissen. »Wahrscheinlich wusste sie selbst nicht, was sie wollte. Aufmerksamkeit? Ich glaube nicht, dass sie vorhatte, sich das Leben zu nehmen. Aufmerksamkeit dafür, wie schlecht es ihr ging?«
Ruthann hatte geantwortet: »Damit deine Mutter machte, was sie wollte? Damit sie aufwachte und einsah, dass sie zu eurem Vater zurückkehren musste?«
Neal antwortete: »Spielt keine Rolle. Vielleicht dachte sie, sie konnte besser schwimmen, als es der Fall war. Vielleicht wusste sie nicht, wie schwer Winterkleidung werden kann. Oder dass keiner in der Lage war, ihr zu helfen.«
Er sagte zu mir: »Verschwende nicht deine Zeit. Du denkst doch nicht etwa, was gewesen wäre, wenn du gerannt wärst und was gesagt hättest? Willst doch nicht etwa mit dran schuld sein?«
Ich sagte, ich hätte tatsächlich darüber nachgedacht, aber nein.
»Wichtig ist nur, glücklich zu sein«, sagte er. »Alles andere ist egal. Das musst du versuchen. Du kannst es. Es wird immer leichter. Es hat nichts mit den Umständen zu tun. Du glaubst gar nicht, wie gut das tut. Nimm alles hin, und die Tragödie verschwindet. Oder sie wird jedenfalls leichter, und du bist einfach da, gehst entspannt durch die Welt.«
Jetzt leb wohl.
Ich verstehe, was er meinte. Es so zu machen ist wirklich richtig. Aber in meiner Erinnerung rennt Caro immer noch aufs Wasser zu und stürzt sich hinein, wie im Triumph, und ich bin immer noch starr, warte auf ihre Erklärung, warte auf das Platschen.
Heimstatt
A ll das geschah in den siebziger Jahren, obwohl in diesem Städtchen und in anderen ähnlichen Kleinstädten die Siebziger nicht so waren, wie wir sie uns heute vorstellen oder wie ich sie sogar in Vancouver erlebte. Die Haare der Jungen waren länger als früher, zottelten aber nicht bis auf den Rücken, und es schien nicht so ungewöhnlich viel Freisinn oder Trotz in der Luft zu liegen.
Mein Onkel hänselte mich als Erstes wegen des Tischgebets. Das ich nicht sprach. Ich war dreizehn Jahre alt und lebte für ein Jahr, das meine Eltern in Afrika verbrachten, bei ihm und meiner Tante. Ich hatte noch nie in meinem Leben vor einem Teller mit Essen den Kopf geneigt.
»Segne, Herrgott, diese Speise, uns zur Stärkung, dir zum Preise«, sagte Onkel Jasper, während ich die Gabel mitten in der Luft anhielt und es mir verkniff, das Fleisch und die Kartoffeln zu kauen, die sich schon in meinem Mund befanden.
»Überrascht?«, fragte er nach dem »In Jesu Namen. Amen«. Er wollte wissen, ob meine Eltern ein anderes Gebet sprachen, vielleicht am Ende der Mahlzeit.
»Sie sagen gar nichts«, gab ich ihm Auskunft.
»Wirklich nicht?«, fragte er mit gespieltem Erstaunen. »Das willst du mir doch nicht erzählen? Menschen, die keine Tischgebete sprechen, gehen nach Afrika, um den Heiden den Glauben zu bringen – man stelle sich vor!«
In Ghana, wo meine Eltern an einer Schule unterrichteten, schienen ihnen nicht viele Heiden begegnet zu sein. Der christliche Glaube trieb rings um sie herum verwirrende Blüten, sogar auf Schildern hinten an Bussen.
»Meine Eltern sind Unitarier«, sagte ich und nahm mich selbst aus irgendeinem Grund davon aus.
Onkel Jasper schüttelte den Kopf und bat mich, das Wort zu erklären. Glaubten sie denn nicht an den Gott von Moses? Oder an den Gott von Abraham? Dann mussten sie Juden sein. Nein? Sie waren doch nicht etwa Mohammedaner?
»Vor allem hat jeder Mensch seine eigene Vorstellung von Gott«, sagte ich, vielleicht fester, als er erwartet hatte. Meine beiden Brüder waren auf dem College, und es sah nicht danach aus, dass sie sich zu Unitariern mausern würden, also war ich an intensive religiöse – und auch atheistische –
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