Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Streitgespräche am Abendbrottisch gewöhnt.
»Aber sie glauben daran, gute Werke zu tun und ein gutes Leben zu führen«, fügte ich hinzu.
Ein Fehler. Nicht nur, dass ein ungläubiger Ausdruck auf das Gesicht meines Onkels trat – hochgezogene Augenbrauen, verwundertes Kopfschütteln –, sondern die Worte, die gerade aus meinem Mund herausgekommen waren, klangen für mich selbst fremd, hochtrabend und wenig überzeugend.
Ich war nicht einverstanden damit, dass meine Eltern nach Afrika gingen. Ich war dagegen, dass sie mich bei meinem Onkel und meiner Tante – meine Wortwahl – abluden. Vielleicht habe ich ihnen, meinen leidgeprüften Eltern, sogar ins Gesicht gesagt, dass ihre guten Werke ein Haufen Mist waren. Bei uns zu Hause durften wir uns ausdrücken, wie wir wollten. Obwohl ich nicht glaube, dass meine Eltern selbst von »guten Werken« gesprochen hätten oder davon, »Gutes zu tun«.
Mein Onkel war für den Augenblick zufrieden. Er sagte, dass wir das Thema fallenlassen mussten, da er wieder in seine Praxis musste, um seinerseits ab ein Uhr gute Werke zu tun.
Wahrscheinlich erst da griff meine Tante zu ihrer Gabel und begann zu essen. Es war typisch für sie, zu warten, bis der Disput vorbei war. Das mag aus Gewohnheit gewesen sein und nicht unbedingt aus Besorgnis wegen meiner Unverfrorenheit. Sie war es gewohnt, sich zurückzunehmen, bis sie sicher war, dass mein Onkel alles gesagt hatte, was er sagen wollte. Sogar wenn ich sie direkt ansprach, wartete sie und schaute zu ihm, um zu sehen, ob er es übernehmen wollte, mir zu antworten. Wenn sie etwas sagte, war es immer etwas Fröhliches, und sie lächelte, sobald sie wusste, dass es in Ordnung war zu lächeln, also fiel es schwer, sie für unterdrückt zu halten. Auch, sie für die Schwester meiner Mutter zu halten, weil sie wesentlich jünger, frischer und adretter aussah, dazu begabt mit diesem strahlenden Lächeln.
Meine Mutter fiel meinem Vater durchaus ins Wort, wenn sie etwas hatte, was sie unbedingt sagen wollte, und das war oft der Fall. Meine Brüder, sogar der, der sagte, er dächte daran, Moslem zu werden, damit er Frauen züchtigen konnte, hörten ihr immer zu als einer ebenbürtigen Autorität.
»Dawns Leben ist ihrem Mann gewidmet«, hatte meine Mutter gesagt, mit einem gewissen Bemühen um Neutralität. Oder, trockener: »Ihr ganzes Leben dreht sich um diesen Mann.«
Das war etwas, was zu jener Zeit gesagt wurde, und es war nicht immer herabsetzend gemeint. Aber ich hatte noch nie eine Frau gesehen, auf die das so zutraf wie auf Tante Dawn.
Natürlich wäre es ganz anders gewesen, sagte meine Mutter, wenn sie Kinder gehabt hätte.
Man stelle sich vor. Kinder. Die Onkel Jasper in den Weg gerieten, die greinten, um ein bißchen von der Aufmerksamkeit ihrer Mutter zu erhaschen. Die kotzten, schmollten, Unordnung machten und Essen haben wollten, das er nicht mochte.
Ausgeschlossen. Das Haus war seins, die Wahl der Speisen, der Radio- und Fernsehprogramme, alles seins. Sogar wenn er in seiner Praxis nebenan war oder fort zu einem Hausbesuch, musste alles jederzeit seinen Wünschen entsprechen.
Nach und nach gelangte ich zu der Erkenntnis, dass solch ein Ordnungssystem ganz angenehm sein konnte. Blitzende Silberlöffel und -gabeln, glänzende dunkle Fußböden, frische Bettwäsche – all diese göttliche Vollkommenheit wurde von meiner Tante überwacht und von Bernice, dem Dienstmädchen, umgesetzt. Bernice kochte ohne Dinge aus Dosen, Tuben oder Tiefkühltruhen und bügelte sogar die Geschirrhandtücher. Alle anderen Ärzte in der Stadt gaben ihre Wäsche in die chinesische Wäscherei, während Bernice und Tante Dawn unsere auf die Wäscheleine hängten. Weiß von der Sonne, frisch vom Wind, alle Betttücher und Mullbinden sauber und duftend. Mein Onkel war der Meinung, dass die Schlitzaugen zu großzügig mit der Wäschestärke umgingen.
»Chinesen«, sagte meine Tante mit leiser, koketter Stimme, als müsste sie sich sowohl bei meinem Onkel als auch bei den Leuten von der Wäscherei entschuldigen.
»Schlitzaugen«, sagte mein Onkel übermütig.
Bernice war die Einzige, die das Wort ganz natürlich benutzen konnte.
Nach und nach stand ich weniger fest zu meinem Zuhause mit seiner intellektuellen Ernsthaftigkeit und materiellen Unordnung. Natürlich musste eine Frau für eine so behagliche Heimstatt ihre ganze Kraft aufbieten. Da konnte man keine unitarischen Manifeste abtippen oder sich nach Afrika davonmachen. (Anfangs
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