Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
ehrenamtliche Platzanweiserin, aber als ich dann in die Schule kam, hatte sie richtige Arbeit, mit Bezahlung, das ganze Jahr über. Sie war die Geschäftsführerin. Das Theater überlebte, durch verschiedene Höhen und Tiefen, und existiert immer noch.
Neal glaubte nicht an Beerdigungen, also ging er nicht zu der von Caro. Brent sah er nie. Er schrieb einen Brief – was ich wesentlich später herausfand –, in dem stand, da er nicht die Absicht habe, Vater zu spielen, sei es besser für ihn, gleich am Anfang auszusteigen. Ich sprach mit Brent nie über ihn, weil ich dachte, das würde meine Mutter aufregen. Auch, weil Brent so gar nicht nach ihm kam – nach Neal – und derart viel Ähnlichkeit mit meinem Vater hatte, dass ich mich wirklich fragte, was wohl zur Zeit seiner Zeugung vor sich gegangen war. Mein Vater hat nie etwas dazu gesagt und wird es auch nie tun. Er behandelt Brent genauso, wie er mich behandelt, aber er ist einer von den Männern, die das ohnehin tun würden.
Er und Josie haben nie eigene Kinder bekommen, aber ich glaube nicht, dass sie darunter leiden. Josie ist die Einzige, die je von Caro spricht, und sogar sie tut es nicht oft. Sie sagt, dass mein Vater meiner Mutter nicht die Schuld gibt. Er hat auch gesagt, dass er ein ziemlicher Muffel gewesen sein muss, als meine Mutter sich nach einem aufregenderen Leben sehnte. Er brauchte einen kräftigen Stoß, und den bekam er. Es hat keinen Sinn, sich deswegen Vorwürfe zu machen. Ohne den Stoß hätte er Josie nie gefunden, und sie zwei wären jetzt nicht so glücklich.
»Welche zwei?«, fragte ich dann manchmal, um ihn zu verunsichern, aber er antwortete unerschütterlich: »Josie und ich. Josie natürlich.«
Meine Mutter will sich an nichts aus dieser Zeit erinnern, und ich plage sie nicht damit. Ich weiß, dass sie den Weg entlanggefahren ist, an dem wir früher wohnten, und alles stark verändert fand, mit schicken Häusern, wie man sie jetzt sieht, errichtet auf unfruchtbarem Boden. Sie berichtete davon mit der leisen Verachtung, die solche Häuser in ihr auslösen. Ich bin selbst den Weg entlanggelaufen, aber ich erzählte niemandem davon. All dieses Ausweiden, das heutzutage in Familien betrieben wird, halte ich für einen Fehler.
Sogar da, wo die Kiesgrube war, steht jetzt ein Haus, der Grund darunter ist aufgefüllt.
Ich habe eine Lebensgefährtin, Ruthann, die jünger ist als ich, aber, glaube ich, etwas klüger. Oder wenigstens optimistischer in Hinsicht auf das, was sie die Austreibung meiner Dämonen nennt. Ich hätte mich nie mit Neal in Verbindung gesetzt, wenn sie mich nicht dazu gedrängt hätte. Natürlich hatte ich lange Zeit gar keine Möglichkeit, ebenso wenig wie den Gedanken daran, mit ihm in Verbindung zu treten. Er war es, der mir schließlich schrieb. Eine kurze Gratulation, nachdem er mein Foto in der
Alumni Gazette
, der Zeitschrift für die ehemaligen Absolventen, gesehen hatte. Wie er dazu kam, sich die
Alumni Gazette
anzuschauen, weiß ich nicht. Ich hatte eine von den akademischen Ehrungen empfangen, die in einem begrenzten Zirkel etwas bedeuten, aber anderswo wenig.
Er wohnte kaum fünfzig Meilen von dem Ort entfernt, in dem ich unterrichte und auch früher aufs College gegangen war. Ich fragte mich, ob er damals schon da wohnte. So nah. War er Dozent geworden?
Anfangs hatte ich nicht die Absicht, auf den Brief zu reagieren, aber ich erzählte Ruthann davon, und sie sagte, ich sollte darüber nachdenken, ihm zu antworten. Das Fazit war, ich schickte ihm eine E-Mail, und wir verabredeten uns. Ich sollte ihn in seiner Stadt treffen, im unbedrohlichen Ambiente einer Universitätsmensa. Ich sagte mir, falls er unerträglich aussieht – ich wusste nicht genau, was ich damit meinte –, kann ich einfach an ihm vorbeigehen.
Er war kleiner als früher, wie es Erwachsene, die wir aus der Kindheit in Erinnerung haben, häufig sind. Seine Haare waren dünn und kurz geschoren. Er holte mir eine Tasse Tee. Er selbst trank auch Tee.
Was machte er beruflich?
Er sagte, dass er Studenten bei der Vorbereitung auf Prüfungen Nachhilfe gab. Außerdem half er ihnen beim Schreiben ihrer Seminararbeiten. Manchmal schrieb er sogar die Arbeiten. Natürlich ließ er sich das bezahlen.
»Das ist kein Weg, Millionär zu werden, kann ich dir sagen.«
Er wohnte in einem Problemviertel. Oder in einem halbwegs anständigen Problemviertel. Ihm gefiel es da. Kleidung suchte er sich bei der Heilsarmee. Das war auch in
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