Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
Vom Netzwerk:
Stadt bei einer Firma in Goderich in die Lehre zu gehen. Als ich wieder nach Hause kam, wurde über das Dampfauto-Unternehmen von den Leuten, die dagegen gewesen waren, mit Verachtung gesprochen, und von denen, die es befürwortet hatten, überhaupt nicht mehr. Die Besucher der Stadt, die sich dafür begeistert hatten, waren verschwunden.
    Die Bank hatte viel Geld verloren.
    Es war nicht von Betrug die Rede, aber von schlechter Geschäftsführung. Jemand musste bestraft werden. Jeder normale Bankdirektor wäre gefeuert worden, doch da es sich um Horace Jantzen handelte, wurde das vermieden. Was mit ihm geschah, war fast schlimmer. Er wurde als Bankdirektor in das Dörfchen Hawksburg versetzt, etwa sechs Meilen die Landstraße hoch. Zuvor hatte es dort überhaupt keinen Direktor gegeben, weil keiner nötig war. Es hatte nur eine Ober- und eine Unterkassiererin gegeben.
    Sicherlich hätte er das ablehnen können, aber Stolz, war die Meinung, entschied anders. Stolz entschied, dass er sich jeden Morgen die sechs Meilen fahren ließ, um hinter einer Abtrennung aus dünnen, angestrichenen Brettern zu sitzen, nicht mal ein richtiges Büro. Dort saß er und tat nichts, bis es Zeit für ihn war, nach Hause gefahren zu werden.
    Die Person, die ihn fuhr, war seine Tochter. Irgendwann in diesen Jahren des Fahrdienstes verwandelte sie sich von Ida in Oneida. Endlich hatte sie etwas zu tun. Sie besorgte nämlich nicht den Haushalt, denn sie konnten Mrs Birch nicht entlassen. Das war eine Möglichkeit, es auszudrücken. Eine andere war, sie hatten Mrs Birch nie genug gezahlt, um sie vor dem Armenhaus zu bewahren, falls sie sie je entlassen sollten.
    Wenn ich mir Oneida und ihren Vater auf diesen Fahrten von und nach Hawksburg vorstelle, sehe ich ihn auf dem Rücksitz und sie vorn, wie ein Chauffeur. Es kann sein, dass er zu korpulent war, um neben ihr zu sitzen. Oder vielleicht brauchte sein Bart Platz. In meiner Vorstellung wirkt Oneida nicht bedrückt oder unglücklich darüber, auch ihr Vater wirkt nicht besonders unglücklich. Er hatte eben Würde, und zwar jede Menge. Sie hatte etwas anderes. Wenn sie einen Laden betrat oder auch nur die Straße entlangging, war es, als würden alle um sie herum Platz machen, in Erwartung ihrer Wünsche oder der Begrüßungen, die sie gleich austeilte. Sie wirkte dann ein wenig verlegen, aber wohlwollend, bereit, über sich selbst oder die Situation ein wenig zu lachen. Natürlich hatte sie ihre gute Figur und ihr strahlendes Aussehen, all diesen hellen Glanz von Haut und Haar. Also mag es seltsam anmuten, dass ich Mitleid mit ihr empfinden konnte, so obenauf und vertrauensselig, wie sie war.
    Man stelle sich vor, ich und Mitleid.
     
     
    Der Krieg hatte angefangen, und alles schien sich über Nacht zu verändern. Tippelbrüder zogen nicht mehr den Zügen hinterher. Neue Arbeitsplätze entstanden, und die jungen Männer suchten nicht nach Arbeit oder Mitfahrgelegenheiten, sondern erschienen überall in ihren mattblauen oder khakigelben Uniformen. Meine Mutter meinte, ich könne von Glück sagen, dass ich so war, wie ich war, und ich glaubte, dass sie recht hatte, beschwor sie aber, das nicht außerhalb unseres Hauses zu sagen. Ich war aus Goderich zurück, fertig mit meiner Lehre, und fand sofort Arbeit in der Buchhaltung vom Warenhaus Krebs. Natürlich konnte man sagen und sagte es wahrscheinlich auch, dass ich die Stellung bekam, weil meine Mutter dort in der Textilienabteilung arbeitete, aber zufällig war auch gerade Kenny Krebs, der Hauptbuchhalter, der sich zur Luftwaffe gemeldet hatte, bei einem Übungsflug ums Leben gekommen.
    Es gab solche traurigen Dinge und trotzdem überall aufkeimende Energie, und die Leute liefen mit Geld in der Tasche herum. Ich fühlte mich von den Männern meines Alters abgeschnitten, aber dieses Gefühl war nicht besonders neu. Und andere saßen im selben Boot. Die Söhne von Farmern waren vom Wehrdienst freigestellt, damit sie sich um die Ernte und die Tiere kümmern konnten. Ich kannte welche, die sich freistellen ließen, obwohl ein Knecht da war. Ich wusste, falls mich irgendwer fragte, warum ich nicht beim Militär war, dann nur zum Scherz. Und ich hatte die Antwort parat, dass ich mich um die Bücher kümmern musste. Die von Krebs und bald auch die von anderen. Mich um die Zahlen kümmern musste. Es herrschte noch die Meinung, Frauen könnten das nicht. Sogar am Ende des Krieges, als sie einiges davon schon eine Weile lang gemacht hatten. Wo es auf

Weitere Kostenlose Bücher