Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
Essen die Nachrichten an, danach unsere Sendungen. Meine Mutter hatte immer darauf bestanden, am Tisch zu essen, weil sie das für die einzig gesittete Art hielt, aber Oneida schien in der Hinsicht keine Hemmungen zu haben.
Es konnte nach zehn sein, wenn sie ging. Sie hätte nichts dagegen gehabt, nach Hause zu laufen, aber die Vorstellung gefiel mir nicht, also holte ich mein Auto und fuhr sie. Sie hatte sich kein Auto mehr gekauft, nachdem sie den Wagen, mit dem sie früher ihren Vater fuhr, weggegeben hatte. Es machte ihr überhaupt nichts aus, überall in der Stadt zu Fuß unterwegs zu sein, obwohl die Leute über sie lachten. Das war vor der Zeit, in der Laufen und Bewegung in Mode kamen.
Wir gingen nie zusammen irgendwohin. Es gab Zeiten, wo ich sie nicht sah, weil sie wegfuhr oder vielleicht dablieb und Besuch von Leuten hatte, die keine Einheimischen waren. Und die ich nie kennenlernte.
Nein. Das hört sich an, als fühlte ich mich zurückgesetzt. Was nicht stimmt. Neue Menschen kennenzulernen war für mich eine Strafe, das muss sie verstanden haben. Und die Gewohnheit, die wir hatten, zusammen zu essen, den Abend gemeinsam vor dem Fernseher zu verbringen – die war so zwanglos, so ungebunden, dass es schien, als könnte es nie Schwierigkeiten geben. Viele Leute müssen davon gewusst haben, aber weil ich es war, nahmen sie davon kaum Notiz. Es war bekannt, dass ich auch ihre Einkommensteuer machte, aber warum nicht? Ich kannte mich damit aus, und bei ihr wurde das von niemandem erwartet.
Ich weiß nicht, ob bekannt war, dass sie mir nie Geld dafür gab. Ich hätte sie nur um ein nominelles Honorar gebeten, damit alles seine Ordnung hatte, aber das Thema tauchte nie auf. Nicht, dass sie knauserig war. Es kam ihr einfach nicht in den Sinn.
Wenn ich aus irgendeinem Grund ihren Namen nennen musste, rutschte er mir manchmal als Ida heraus. Sie zog mich damit auf, wenn ich das vor ihren Ohren tat. Dann wies sie mich darauf hin, dass ich dazu neigte, immer die alten Spitznamen aus der Schulzeit zu gebrauchen, wenn es irgend ging. Mir war das noch gar nicht aufgefallen.
»Keinen kümmert das mehr«, sagte sie. »Nur dich.«
Das ärgerte mich ein bisschen, obwohl ich mein Möglichstes tat, um es zu verbergen. Welches Recht hatte sie, Bemerkungen darüber zu machen, wie die Leute etwas aufnahmen, was ich tat oder nicht tat? Der tiefere Sinn war natürlich, dass ich irgendwie dazu neigte, an meiner Kindheit festzuhalten, dort bleiben wollte, und alle anderen sollten mit mir dort bleiben.
Das vereinfachte es zu sehr. So wie ich es sah, hatte ich die ganze Schulzeit damit zugebracht, mich daran zu gewöhnen, wie ich war – wie mein Gesicht aussah –, und wie andere darauf reagierten. Ich gehe davon aus, dass es ein kleiner Triumph war, das geschafft zu haben, zu wissen, dass ich hier überleben und Geld verdienen konnte und nicht ständig neue Leute an mich gewöhnen musste. Aber wir alle, zurückversetzt in die vierte Klasse – nein danke.
Und wer war Oneida, sich solche Meinungen zu bilden? Es kam mir nicht so vor, als hätte sie schon ihren Platz gefunden. Tatsächlich war jetzt, wo das große Haus fort war, damit auch viel von ihr fort. Die Stadt veränderte sich, und ihr Platz darin veränderte sich, ohne dass sie es recht bemerkte. Natürlich hatte es immer Veränderungen gegeben, aber in der Zeit vor dem Krieg lag es daran, dass die Leute wegzogen, um sich woanders nach etwas Besserem umzusehen. In den fünfziger, sechziger und siebziger Jahren veränderte sie sich durch neue Leute, die herzogen und anders waren als die Alteingesessenen. Man sollte meinen, Oneida hätte dem Rechnung getragen, als sie beschloss, in das Mietshaus einzuziehen. Aber sie war sich wohl nicht ganz im Klaren darüber. Sie hatte immer noch diese merkwürdige Unschlüssigkeit und Sorglosigkeit an sich, als wartete sie darauf, dass das Leben anfing.
Sie unternahm natürlich Reisen, und vielleicht dachte sie, da würde es anfangen. Was es nicht tat.
Im Laufe dieser Jahre, als das neue Einkaufszentrum am Südende der Stadt gebaut wurde und Krebs dichtmachte (kein Problem für mich, ich hatte auch ohne das Warenhaus genug zu tun), schienen immer mehr Leute aus der Stadt Winterurlaub zu machen, und das bedeutete, nach Mexiko oder in die Karibik oder an irgendeinen Ort zu fahren, mit dem wir früher nie etwas zu tun gehabt hatten. Mit dem Ergebnis – meiner Meinung nach –, dass Krankheiten eingeschleppt wurden, mit
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