Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)
als recht. Der Mann am Kopfende des Tisches redete pausenlos. Man sollte meinen, die Tochter hätte die Nase voll davon, aber sie schien meistens drauf und dran zu sein, loszulachen. Bevor sie mit der Nachspeise fertig war, zündete sie sich eine Zigarette an. Sie bot Howard auch eine an und sagte nicht gerade leise: »Kümmern Sie sich nicht um Daddy.« Er nahm das Angebot an, aber sie stieg danach nicht in seiner Achtung.
Verwöhnte höhere Tochter. Ungehörig.
Aus heiterem Himmel fragte sie ihn, was er von dem Premierminister von Saskatchewan, Tommy Douglas, hielt.
Er sagte, dass seine Frau ihn unterstützte. Douglas war seiner Frau eigentlich nicht links genug, aber darauf wollte er nicht näher eingehen.
»Daddy liebt ihn. Daddy ist Kommunist.«
Worauf Mr Carlton verächtlich prustete, was ihr nicht den Mund stopfte.
»Jedenfalls lachst du über seine Witze«, sagte sie zu ihrem Vater.
Kurz danach nahm sie Howard mit hinaus zu einer Besichtigung des Geländes. Das Haus lag an der Straße, direkt gegenüber von der Fabrik, die Männerstiefel und Arbeitsschuhe herstellte. Hinter dem Haus jedoch erstreckten sich weite Rasenflächen bis zum Fluss, der sich um die halbe Stadt wand. Es gab einen ausgetretenen Pfad hinunter zum Ufer. Sie ging voran, und so konnte er etwas sehen, dessen er vorher nicht sicher war. Sie lahmte auf einem Bein.
»Ist der Rückweg nicht ziemlich steil?«, fragte er.
»Ich bin kein Krüppel.«
»Wie ich sehe, haben Sie ein Ruderboot«, sagte er und meinte das als halbe Entschuldigung.
»Ich würde Sie hinausrudern, aber nicht gerade jetzt. Jetzt müssen wir uns den Sonnenuntergang anschauen.« Sie zeigte auf einen alten Küchenstuhl, der, sagte sie, eigens für den Sonnenuntergang da stand, und verlangte, dass er darauf Platz nahm. Sie selbst setzte sich ins Gras. Er wollte sie schon fragen, ob sie allein aufstehen konnte, besann sich aber eines Besseren.
»Ich hatte Kinderlähmung«, sagte sie. »Das ist alles. Meine Mutter hatte sie auch und ist daran gestorben.«
»Wie schrecklich.«
»Ja. Ich kann mich nicht an sie erinnern. Ich fahre nächste Woche nach Ägypten. Ich wollte unbedingt hin, aber jetzt liegt mir nicht mehr so viel daran. Hätten Sie Lust dazu?«
»Ich muss leider Geld verdienen.«
Ihn erstaunte, was er gesagt hatte, und natürlich brachte es sie zum Kichern.
»Ich habe ganz allgemein gesprochen«, sagte sie majestätisch, als das Kichern beendet war.
»Ich auch.«
Es war unvermeidlich, dass sie einem schleimigen Mitgiftjäger in die Hände fiel, einem Ägypter oder dergleichen. Sie wirkte keck und zugleich kindisch. Das mochte einen Mann anfangs reizen, aber dann würden ihre vorlaute Art sowie ihre Selbstgefälligkeit, wenn sie denn echt war, langweilig werden. Immerhin war Geld da, und das wurde manchen Männern nie langweilig.
»Sie dürfen vor Daddy nie etwas über mein Bein sagen, sonst kriegt er einen Tobsuchtsanfall«, sagte sie. »Einmal hat er nicht nur einen Jungen rausgeschmissen, der mich gehänselt hat, sondern seine ganze Familie. Ich meine, mit Nichten und Neffen.«
Aus Ägypten trafen sonderbare Postkarten ein, in seinem Büro, nicht in seinem Haus. Aber wie hätte sie auch seine Privatadresse wissen sollen?
Ohne eine einzige Pyramide. Ohne Sphinx.
Stattdessen war auf einer Gibraltar abgebildet, mit dem Hinweis, das sei eine zusammenfallende Pyramide. Auf einer anderen waren ebene, dunkelbraune Felder abgebildet, Gott weiß wo, und darunter stand: »Meer der Melancholie.« Dann noch eine Botschaft in zierlicher Druckschrift: »Lupe gegen Geld erhältlich.« Zum Glück gerieten sie niemandem in seinem Büro in die Hände.
Er hatte nicht vor, zu antworten, tat es aber doch: »Lupe fehlerhaft, erbitte Geld zurück.«
Er fuhr zu einer unnötigen Inspektion des Kirchturms in ihre Stadt, denn er wusste, dass sie von den Pyramiden zurück sein musste, wusste aber nicht, ob sie zu Hause sein würde oder schon wieder auf Reisen.
Sie war zu Hause und würde es für einige Zeit bleiben. Ihr Vater hatte einen Schlaganfall erlitten.
Es gab eigentlich nicht viel für sie zu tun. Eine Pflegerin kam jeden zweiten Tag ins Haus. Und ein Mädchen namens Lillian Wolfe besorgte das Feuer im Küchenherd und in den Öfen, die immer angezündet wurden, wenn Howard eintraf. Natürlich erledigte sie auch anderes im Haushalt. Corrie selbst schaffte es nicht recht, ein anständiges Feuer in Gang zu bringen oder eine Mahlzeit zuzubereiten; sie konnte
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