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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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eingeschränkt hatte, mit Rücksicht auf mein zunehmendes Alter.
     
     
    Ich sah mich in der Stadt nach einer neuen Behausung um, und es stellte sich heraus, dass von allen Quartieren, die mir annähernd gefielen, nur eines leer stand. Und das war eine Wohnung in dem Gebäude auf dem Grundstück von Oneidas altem Haus. Nicht im obersten Stock mit der Aussicht, wo sie wohnte, sondern im Erdgeschoss. Ich hatte ohnehin nie viel für eine schöne Aussicht übriggehabt und nahm sie. Zumal ich nicht wusste, was ich anderes tun sollte.
    Natürlich hatte ich vor, es ihr zu sagen. Aber es wurde bekannt, bevor ich mich dazu durchringen konnte. Sie hatte sowieso ihre eigenen Pläne. Inzwischen war Sommer, unsere Fernsehserien pausierten. Es war eine Zeit, in der wir uns nicht regelmäßig sahen. Und außerdem, im Grunde genommen fand ich nicht, dass ich mich bei ihr entschuldigen oder sie um Erlaubnis fragen musste. Als ich da war, um mir die Wohnung anzuschauen und den Mietvertrag zu unterschreiben, war sie nirgendwo zu sehen.
    Eines begriff ich bei diesem Besuch, oder als ich später darüber nachdachte. Ein Mann, den ich nicht gleich einordnen konnte, sprach mich an, und nach einigen Augenblicken merkte ich, dass es jemand war, den ich seit langem kannte und mein halbes Leben lang auf der Straße gegrüßt hatte. Wenn ich dort auf ihn getroffen wäre, hätte ich ihn vielleicht erkannt, trotz der Verwüstungen des Alters. Aber hier nicht, und wir lachten darüber, und er wollte wissen, ob ich in den Totenhügel einzog.
    Ich sagte, ich hätte nicht gewusst, dass das Haus so genannt wurde, aber ja, wohl schon.
    Dann wollte er wissen, ob ich Whist spielte, und ich sagte, ja, hin und wieder.
    »Das ist gut«, sagte er.
    Und dann dachte ich: Einfach lange genug am Leben zu bleiben beseitigt die Probleme. Bringt dich in einen exklusiven Club. Ganz egal, mit welchen Benachteiligungen du behaftet warst, einfach immer noch am Leben zu sein beseitigt sie fast völlig. Jedermanns Gesicht ist inzwischen verunstaltet, nicht immer nur deins.
    Da musste ich an Oneida denken und daran, wie sie ausgesehen hatte, als sie mit mir darüber sprach, bei mir einzuziehen. Nicht mehr schlank, sondern ausgemergelt, ohne Zweifel überanstrengt von den Nächten, in denen sie meinetwegen aufstehen musste, aber darüber hinaus machte sich ihr Alter bemerkbar. Ihre Schönheit war seit jeher zart gewesen. Eine blonde Frau, die leicht errötet, mit dieser eigenartigen Mischung aus Befangenheit und großbürgerlichem Selbstvertrauen, diese Schönheit hatte sie gehabt und verloren. Als sie mir ihren Vorschlag unterbreitete, sah sie angestrengt aus, und ihr Gesichtsausdruck war sonderbar.
    Wenn mir je die Wahl geblieben wäre, hätte ich mir natürlich entsprechend meiner Größe ein kleineres Mädchen ausgesucht. Wie die College-Studentin, zierlich und dunkelhaarig, die mit Krebs verwandt war und einen Sommer lang bei ihm gearbeitet hatte.
    Eines Tages hatte dieses Mädchen ganz freundlich zu mir gesagt, dass man heutzutage mein Gesicht viel besser hinkriegen könnte. Und es würde auch nichts kosten, dank der staatlichen Gesundheitsfürsorge.
    Sie hatte recht. Aber wie konnte ich erklären, dass ich einfach nicht imstande war, in eine Arztpraxis zu spazieren und zuzugeben, dass ich mich nach etwas sehnte, was ich nicht hatte?
     
     
    Oneida sah wieder besser aus, als sie mitten in meiner Packerei und Wegwerferei erschien. Sie hatte sich die Haare machen lassen, und die Farbe war ein bißchen anders, brauner vielleicht.
    »Du musst nicht alles auf einen Schlag wegschmeißen«, sagte sie. »All das, was du für diese Stadtgeschichte gesammelt hast.«
    Ich sagte, ich träfe eine Auswahl, obwohl das nicht ganz stimmte. Mein Eindruck war, wir gaben beide vor, das, was geschehen war, wichtiger zu nehmen, als wir es eigentlich taten. Wenn ich jetzt an die Stadtgeschichte dachte, dann mit der Einstellung, eigentlich war eine Kleinstadt nicht viel anders als jede andere.
    Wir erwähnten mit keinem Wort meinen Einzug in das Mietshaus. Als wäre das längst ausführlich besprochen und inzwischen selbstverständlich.
    Sie sagte, sie gehe auf eine ihrer Reisen, und diesmal nannte sie das Ziel. Savary Island, als wäre das genug.
    Ich fragte höflich, wo das sei, und sie sagte: »Ach, vor der Küste.«
    Als beantwortete das die Frage.
    »Wo eine alte Freundin von mir wohnt«, sagte sie.
    Was natürlich stimmen konnte.
    »Sie hat E-Mail. Sie sagt, ich soll das machen. Ich

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