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Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition)

Titel: Liebes Leben: 14 Erzählungen (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Alice Munro
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bin irgendwie nicht scharf darauf. Aber ich kann’s ja mal probieren.«
    »Man weiß es eben erst, wenn man’s probiert hat.«
    Ich hatte das Gefühl, ich müsste noch mehr sagen. Mich nach dem Wetter erkundigen oder so, dort, wo sie hinfuhr. Aber bevor mir etwas einfiel, stieß sie einen äußerst ungewöhnlichen kleinen heiseren Schrei aus, dann hielt sie sich die Hand vor den Mund und ging mit großen, vorsichtigen Schritten an mein Fenster.
    »Leise, leise«, sagte sie. »Schau doch mal.«
    Sie lachte fast geräuschlos, ein Lachen, das sogar auf körperliche Schmerzen hindeuten konnte. Sie bewegte eine Hand hinter dem Rücken, um mich zu Stille zu ermahnen, als ich aufstand.
    Im Hof hinter meinem Haus war ein Vogelbad. Ich hatte es vor Jahren dort aufgestellt, damit meine Mutter die Vögel beobachten konnte. Sie mochte Vögel sehr und erkannte sie an ihrem Gesang und auch an ihrem Gefieder. Ich hatte es eine ganze Weile lang vernachlässigt und gerade an jenem Morgen frisch gefüllt.
    Und jetzt?
    Es war voller Vögel. Schwarzweiße, die wüst planschten.
    Keine Vögel. Etwas anderes, größer als Drosseln, kleiner als Krähen.
    Sie sagte: »Skunks. Kleine Skunks. Mit mehr Weiß als Schwarz im Fell.«
    Aber wie schön. Sie flitzten und tanzten und gerieten einander nie in den Weg, so dass man nicht sagen konnte, wie viele es waren, wo jeder anfing oder aufhörte.
    Während wir zuschauten, richteten sie sich einer nach dem anderen auf, verließen das Wasser und liefen hintereinander über den Hof, rasch, aber in einer geraden, diagonalen Linie. Als wären sie stolz auf sich, ohne damit anzugeben. Sie waren zu fünft.
    »Mein Gott«, sagte Oneida. »Mitten in der Stadt.«
    Ihr Gesicht strahlte.
    »Hast du je so etwas gesehen?«
    Ich sagte, nein. Noch nie.
    Ich dachte, vielleicht sagt sie noch etwas und verdirbt es, doch nein. Keiner von uns sagte etwas.
    Wir waren so froh, wie man nur sein kann.

Corrie
    E s ist nicht gut, wenn das ganze Geld bei einer Familie ist, in so einem Ort wie dem hier«, sagte Mr Carlton. »Ich meine, für ein Mädchen wie meine Tochter Corrie. Zum Beispiel. Es ist nicht gut. Niemand auf demselben Niveau.«
    Corrie saß direkt gegenüber am Tisch und sah dem Gast in die Augen. Sie schien das komisch zu finden.
    »Wen soll sie heiraten?«, fuhr ihr Vater fort. »Sie ist fünfundzwanzig.«
    Corrie hob die Augenbrauen, zog ein Gesicht.
    »Du hast ein Jahr unter den Tisch fallen lassen«, sagte sie. »Sechsundzwanzig.«
    »Mach doch«, sagte ihr Vater. »Lach dich schief.«
    Sie lachte laut auf, und was, dachte der Gast, konnte sie schon anderes tun? Er hieß Howard Ritchie, und er war nur ein paar Jahre älter als sie, aber schon mit einer Frau und kleinen Kindern ausgestattet, wie der Vater sofort herausgefunden hatte.
    Ihre Miene veränderte sich sehr rasch. Sie hatte leuchtend weiße Zähne und kurze lockige, fast schwarze Haare. Hohe Wangenknochen, die vom Licht betont wurden. Keine weiche Frau. Nicht viel Fleisch auf den Rippen, eine Formulierung, wie sie gut und gerne aus dem Mund ihres Vaters kommen konnte. Howard Ritchie hielt sie für eine jener jungen Frauen, die viel Zeit damit verbrachten, Golf und Tennis zu spielen. Trotz ihrer spitzen Zunge zweifelte er nicht an ihrer konventionellen Geisteshaltung.
    Er war Architekt und stand noch am Beginn seiner Laufbahn. Mr Carlton beharrte darauf, ihn als Kirchenarchitekten zu bezeichnen, weil er zu jener Zeit den Turm der anglikanischen Kirche in der Stadt restaurierte. Ein Turm, der kurz vor dem Einsturz gestanden hatte, bis Mr Carlton sich seiner erbarmte. Mr Carlton war kein Anglikaner – darauf hatte er mehrmals hingewiesen. Seine Kirche war die methodistische, und er war mit Leib und Seele Methodist, weshalb es in seinem Haus keinen Alkohol gab. Aber eine schöne Kirche wie die anglikanische durfte nicht völlig verfallen. Sinnlos, etwas von den Anglikanern zu erwarten – das waren hier arme irische Protestanten, die den Turm abgerissen und an seiner Stelle etwas hingesetzt hätten, das für die Stadt ein Schandfleck gewesen wäre. Sie hatten natürlich nicht die entsprechenden Moneten und verstanden gar nicht, dass dafür nicht bloß ein Schreiner gebraucht wurde, sondern ein Architekt. Ein Kirchenarchitekt.
    Das Esszimmer war scheußlich, wenigstens für Howards Begriffe. Das war Mitte der fünfziger Jahre, aber alles sah aus, als wäre es schon vor der Jahrhundertwende an Ort und Stelle gewesen. Das Essen war eher schlecht

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