LIEBES LEBEN
gereist, um ihn zu treffen. Er hat sich überhaupt nicht verändert, und das ist kein gutes Zeichen.
Er hat immer noch das gleiche drahtige, krause, dunkle Haar und den gleichen schmuddeligen, ungleichmäßigen Bart. Ja, er hatte schon in der Highschool einen Bart. In den 80er-Jahren, als Haargel aufkam, war das nicht in.
Blass . Das ist das Wort, das sein Aussehen am besten beschreibt.
Obwohl sein Haar dunkel und dick ist, ist sein fahles Gesicht farblos, abgesehen von ein paar noch verbliebenen Pockennarben. Aber es ist nicht sein Aussehen, das mich so überwältigt; so oberflächlich bin ich nicht. Es ist dieses klebrige, schleimige Gefühl, das man bei ihm immer hat. Genau wie dieser schreckliche Typ auf meinem letzten Flug nach Taiwan, der seinen Ehering versteckt hat. Ich kann nicht erklären, warum, aber in seiner Nähe fühle ich mich schmutzig.
»Ashley!«, sagt er und kommt auf mich zu, um mich zu umarmen.
Von seinen Armen umschlungen, antworte ich in seine Schulter hinein: »Dan, schön dich zu sehen.«
»Wir sind wohl beide früh dran«, meint er.
»Ja, scheint so. Was für ein Zufall.«
»Komm, setz dich. Ich habe uns schon einen Tisch bestellt. Dann erzähle ich dir von mir.« Ich setze mich, und Dan räumt seine Unterlagen, sein Handy und seine Aktentasche vom Tisch.
»Sieht aus, als sei das hier dein Büro.«
»In letzter Zeit ist mein Büro überall.«
»Was hast du so getrieben?«, frage ich freudig und erinnere mich an mein Versprechen gegenüber Gott.
»Ich bin Finanzleiter eines kleinen, jungen Unternehmens.« Kleines, junges Unternehmen. Gibt es auch große, junge Unternehmen? »Und was macht deine Firma?«
»Firmenanwendungen.«
Aha, also nichts. Kein richtiges Produkt. »Habt ihr irgendwelche wichtigen Patente laufen?«, frage ich.
»Stimmt ja, du bist Patentanwältin. Wir haben ein paar.«
»Noch in der Schwebe oder schon gewährt?«
Er sieht etwas verärgert aus. »Im Werden.« Na schön, kein richtiges Produkt, keine Patente. Das heißt, dass er seinen Job höchstens sechs Monate lang behält. Aber ich bin ja nicht bei einem Bewerbungsgespräch, ich bin bei einer Verabredung. Benimm dich entsprechend.
»Das macht bestimmt Spaß in einem jungen Unternehmen.«
... Wenn man nie genau weiß, ob man im nächsten Monat sein Gehalt bekommt.
»Oh ja. Viele Vergünstigungen, freie Arbeitszeiten, vorausgesetzt, es sind nicht mehr als achtzehn Stunden am Tag. Aber es wird.«
Ich bin geneigt, ihn zu fragen, wie viele Aktienoptionen er schon anstelle von Gehalt bekommen hat, aber ich merke schon an seiner draufgängerischen Art, dass es viele sind.
»Komm, ich bestelle uns was zu trinken.« Er hebt den Arm, und nickt der Kellnerin zu. Es ist eine zierliche Asiatin, die die richtige Mischung aus Lächeln und Distanziertheit hat.
»Kann ich Ihnen schon einmal etwas zu trinken bringen?«, fragt sie.
»Eine Cola Light, bitte«, sage ich, bevor Dan die Gelegenheit hat, etwas für mich zu bestellen. An seinem geöffneten Mund kann ich schon erkennen, dass er der Typ Mann ist, der das tut.
Er lacht wieder. »Du warst schon immer die Brave. Ich nehme eine Bloody Mary.« Er schickt die Kellnerin mit einer Handbewegung weg.
»Ich habe deine Schwester mit ihrem goldigen Baby bei Bloomingdale getroffen. Sind ihre Kinder alle so süß?«
»Ja, sie hat da ein paar nette Kinder zustande gebracht.« Ich nicke.
»Hast du welche? Kinder, meine ich«, fragt er.
»Nein, ich bin nicht verheiratet.«
»Das will heutzutage nichts mehr heißen. Ich habe zwei.« Er holt seinen Geldbeutel heraus.
»Kinder?«
»Und Exfrauen.« Er lacht und zeigt mir ein Bild mit Zwillingsmädchen, die etwa drei Jahre alt sind. »Die Ehe passt irgendwie nicht so zu mir.«
»Siehst du deine Töchter oft? Sie sind süß.« Das sind sie wirklich. Blonde Locken, ein breites Grinsen und Stupsnasen. Sie müssen wohl ihrer Mutter ähnlich sehen.
»Etwa einmal im Monat. Ich bin im Moment beruflich noch viel unterwegs. Deshalb hat wohl auch die Ehe nicht gehalten. Ich glaube, ich muss jemanden suchen, der das Gleiche vom Leben erwartet wie ich.«
Breas Worte, dass ich eine Karrierefrau bin, verfolgen mich.
»Seltsam, dass du das sagst. Ich denke gerade darüber nach, ob ich weiterhin so viel unterwegs sein will.«
»Es ist die einzige Möglichkeit, beruflich voranzukommen. Das habe ich meinen Frauen immer gesagt.« Frauen . Er ist erst zweiunddreißig und hat schon Frauen gehabt. Silicon Valley ist ein ehefeindlicher
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