LIEBES LEBEN

du warst zu einer Firmentagung über Produktivitätssteigerung.« Er lacht. »Der Sinn des Lebens. Außer Jesus? Matrix schauen. Komm doch vorbei.«
    Ich lache. Seth schafft es immer, mich zum Lachen zu bringen.
    »Hast du im Ernst gestern Abend schon wieder Matrix gesehen?«
    »Nein, hab ich nicht. Ich musste arbeiten. Aber ich weiß, dass du glaubst, dass das alles ist, was ich in meiner Freizeit tue. Also lasse ich dich in dem Glauben.«
    »Du bist abnormal, Seth.« Ich werde Seth nie ganz verstehen, und wahrscheinlich macht das seinen Charme aus.
    »Du bist auch nicht ohne, Ashley«, sagt Seth und tut, als hätte er meinen Ausdruck nicht bemerkt.
    »Ich melde mich wieder. Sehen wir uns, wenn ich wieder da bin?«
    »Kann es kaum erwarten. Tschüss, Ashley, mach’s gut.«
    Ich lege auf und schaue sehnsüchtig auf mein Handy. In meinem Leben muss sich etwas verändern, sonst werde ich mich nie erfolgreich fühlen. Ich tippe meine Notizen in den PDA und halte nach jedem Punkt nachdenklich inne. Aber die Gedanken fliegen nur so aus meinen Fingern auf das Display, als schriebe mir Gott eine Mail, könnte ich schwören.
    WAS ICH TUN MUSS, UM ERFOLGREICH ZU SEIN:
Mich mit der Matrix liebenden Hälfte meiner Persönlichkeit versöhnen. (Ich darf ein schräger Vogel sein.)
Lernen, meine Gliedmaßen in der Öffentlichkeit frei herumtanzen zu lassen. (Ich darf wie ein schräger Vogel aussehen.)
Den Ingenieur, der in mir steckt, annehmen. (Und vielleicht auch den, der vor mir steht. Ich darf einen schrägen Vogel lieben.)

27
    HÖHEPUNKTE MEINER TAIWANREISE:
Aus dem eklig-feuchten Flugzeug steigen.
Nach einer Woche in brauner Luft wieder in das eklig-feuchte Flugzeug steigen.
Freundliche Menschen (nicht wie im Silicon Valley).
Reise hat länger gedauert als erwartet (Wohnungssuche wieder hinausgeschoben).
Bin rechtzeitig daheim, um Amerika sucht den Superstar zu sehen ( Juhu!).
    Auf dem Anrufbeantworter sind vierzehn Nachrichten meiner Mutter wegen der Hochzeit meines Bruders. Meistens fragt sie, ob mein Büro die Kosten für den Anruf übernimmt. Ich habe von verschiedenen Orten auf diesem Globus versucht, sie zurückzurufen, aber es war immer besetzt. Hat man in ihrer Generation noch nie etwas von einer Anklopffunktion beim Telefon gehört? Ich war schwer versucht, ihr Gespräch unterbrechen zu lassen. Aber dann dachte ich, wozu? Sie wird mir nur eine ewig lange Einkaufsliste von lauter Dingen herunterleiern, die ich in Taiwan besorgen soll.
    Aber ich rufe sie eine Stunde nach der Landung an, weil ich ja eine ganz besondere Tochter bin. Außerdem habe ich gerade fünf Minuten Zeit, bis der Vermieter kommt, um mir die neue Wohnung zu zeigen. Craiglist hat eine Kleinanzeige im Internet geschaltet und hat Tausende von Wohnungen zu vermieten. Ich habe mir Bilder angeschaut - als ich in Taiwan war –, und ich glaube, das ist die richtige Wohnung. Aber ich schweife ab.
    »Hallo?« Die Stimme meiner Mutter klingt angestrengt, als sei Telefonieren eine sportliche Höchstleistung.
    »Mama, hier ist Ashley.«
    »Ashley, wo hast du gesteckt, um Himmels willen? Auf dem Handy konnte ich dich nicht erreichen, und du hast nie zurückgerufen. Du hättest tot sein können, und ich hätte es nicht erfahren. Die kleine Inderin, für die du arbeitest, sagt mir ja nichts.«
    »Doch, Mama, ich habe oft versucht, dich zurückzurufen, aber es war immer besetzt.«
    »Diese Hochzeit macht mich noch wahnsinnig. Ich habe das Gefühl, dass ich nur noch am Telefon hänge.«
    »Du hättest mir eine Mail schreiben sollen.«
    »Du weißt, dass ich den Computer hasse. Ich vergesse immer, wie man ihn anschaltet.«
    Der Knopf, Mama. Der kleine leuchtende Knopf. »Was ist denn so dringend?«
    »Hast du alles, was wir für die Hochzeit brauchen?«
    »Ja, Mama, ich habe Mei Ling ein Kua gekauft. Es ist wunderschön. Das ist ein traditionell chinesisches Kleid, das die Braut beim Gästeempfang trägt«, erkläre ich, als sei ich die absolute Chinakennerin. »Sie wird das normale weiße Brautkleid, das sie gekauft hat, bei der eigentlichen Trauung tragen, und das hier ist für hinterher, wenn sie möchte. Zumindest hat sie so eine Erinnerung an ihre Kultur. Es ist aus rotem Brokat und einfach umwerfend. Ich war schwer versucht, mir auch eines zu kaufen.«
    »Besorg dir zuerst einmal einen Mann, Ashley.«
    Das war ein rechter Haken direkt auf den Kopf. Ich beschließe, die abfällige Bemerkung zu ignorieren. Ich bin zu müde, um mich mit ihr anzulegen. »Äh ...