LIEBES LEBEN
Anwalt anrufen, bla bla bla. Ich lege mich auf die Rückbank und schlafe ein wenig.
Als ich wieder aufwache, sitze ich in einer Gefängniszelle. Einer Gefängniszelle! Außer mir ist niemand in der Zelle, aber sie ist noch feuchter als das taiwanesische Flugzeug. Und dieser Geruch! Den beschreibe ich besser gar nicht erst. In der Mitte des Raumes ist eine kleine Toilette. Jetzt frage ich mich, wer hier wohl auf die Toilette gehen würde, wenn ganz in der Nähe, hinter einem Schreibtisch ein Polizeibeamter sitzt? Gibt es irgendein Wesen auf dieser Welt, das nicht eher eine Ewigkeit zurückhalten würde, als sich selbst dazu zu erniedrigen, auf diese öffentliche Toilette - und öffentlich meine ich wörtlich - zu gehen? Hier sehne ich mich sogar nach meiner von Ratten verpesteten Wohnung. Ich muss hier raus.
Hinter einer quälend langen Theke sitzt eine Beamtin. »Das ist alles nur ein Irrtum. Ich muss zur Arbeit gehen.«
Sie schaut auf, sieht zu mir herüber, verdreht die Augen und stempelt dann weiter irgendein wichtiges Dokument, an dem Sie arbeitet.
»Nein, wirklich. Ich will hier raus.«
Sie kommt um die Theke herum. Sie ist groß und Furcht einflößend und schaut mich von oben herab an, als sei ich ein Krümel auf ihrem Tisch. »Sie haben einen Telefonanruf. Sind Sie bereit, ihn zu machen?«
»Ich habe mein Handy ...«, aber als ich mich umschaue, habe ich kein Handy mehr. »Wo ist meine Prada-Handtasche?«
»In der Designerabteilung, zusammen mit Ihrem Feinkostmenü. Wollen Sie jetzt telefonieren oder nicht?«
»Ja!«, schreie ich. Ich kratze mich am Kopf und überlege angestrengt, wen ich anrufen soll. »Wenn niemand zu Hause ist, darf ich dann jemand anders anrufen?«
»Ja«, sagt sie.
Meine Mutter kann ich nicht anrufen. Das würde Dave mir ewig nachtragen. Meine Familie darf von diesem Tag nichts erfahren. Purvi kann ich nicht anrufen; ich müsste ja im Büro sein. Brea, ich könnte Brea anrufen. Da dieser weibliche Hüne mir meine Handtasche oder meinen PDA nicht geben will, bin ich umso dankbarer, dass ich Breas Nummer auswendig weiß. Um sicher zu gehen, wähle ich ihre Handynummer und bin wie erstarrt, als ihre Mailbox antwortet. Ich lege sofort auf. Ich will nicht, dass dieser Anruf zählt. »Kann ich ein Telefonbuch haben?«
Ich blättere darin herum und denke der Reihe nach an meine Freunde. Ich weigere mich, Kay Harding anzurufen. Sie würde ihr Klemmbrett niemals lange genug loslassen, um verhaftet zu werden, und Seth würde nur denken, dass ich jetzt völlig durchgedreht bin, und sich selbst die Schuld dafür geben, weil er denkt, er sei Schuld, dass meine Sachen weg sind. Kevin ... soll ich es wagen?
Ich suche die Nummer vom Lucille Salter Kinderkrankenhaus und wähle. Als jemand abnimmt, frage ich nach Dr. Kevin Novak und erkläre schuldbewusst, dass es ein Notfall sei. Sie rufen ihn aus, und innerhalb von drei Minuten oder weniger ist er am Telefon.
»Dr. Novak.«
»Kevin, ich bin’s, Ashley. Ich brauche deine Hilfe. Ich sitze im Gefängnis und brauche eine Kaution.« Das ist der demütigendste Augenblick meines Lebens. Kevins Bild von mir ist jetzt das der Kriminellen, die ihn in einem dunklen Parkhaus in San Francisco geküsst hat, und das der Verbrecherin im Gefängnis. Wenigstens werden seine Eltern jetzt nicht mehr hinter meiner Erbmasse her sein.
Kevin lacht. »Komm schon, Ashley, was hast du für einen Notfall?«
»Das ist kein Witz. Ich sitze in der Polizeistation von Palo Alto in einer Zelle. Ich brauche jemanden, der Kaution für mich hinterlegt.«
Einen Augenblick lang ist er still. »Und das ist wirklich kein Witz?«
»Ich wünschte, es wäre einer.«
»Ich bin sofort bei dir.« Er legt auf, und ich werde in meine Zelle zurückgeführt.
Jetzt ist noch eine zweite Frau drin. Sie ist groß und schlaksig und trägt auch schicke Schuhe. Sie sehen aus wie Schuhe von Cole Haan.
»Hallo«, murmle ich.
»Hallo.« Sie nickt mir zu. »Ladendiebstahl?«
Ich bin gekränkt. »Nein.« Aber dann verschwindet mein Stolz schnell. »Tätlicher Angriff auf einen Polizisten und Herumlungern.«
»Krista Harchek«, stellt sie sich vor und streckt mir die Hand hin.
»Ashley Stockingdale.«
»Haben Sie schon einen Bürgen? Ich kenne einen guten.«
»Mein Freund kommt gleich«, erkläre ich.
»Es ist gut, Freunde zu haben.«
Unbewusst fange ich an ›Welch ein Freund ist unser Jesus‹ zu singen, und Krista zeigt auf mich. »Das Lied kenne ich. Das habe ich mal in der Reha
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