LIEBES LEBEN
Preis. Die anderen kommen, und wir holen unser Heft zum Thema Unterordnung heraus. Schon wieder Unterordnung! War die Sonntagsschullektion neulich nicht genug? Oder die anderen zwölf Mal, wo wir uns schon mit diesem Thema beschäftigt haben?
Die Gruppe fasst die bisherigen Gespräche dazu zusammen, und dann lese ich eine wichtige Bibelstelle vor, und mein Interesse ist unwillkürlich geweckt. Genau so funktioniert es doch mit der Bibelgruppe. Es ist nervig hinzugehen und sich auf das Thema zu konzentrieren, aber dann zieht das Herz nach. Das muss wohl Gottes Werk sein.
»Ihr Sklaven und Sklavinnen, ordnet euch euren Herren und Herrinnen unter und erweist ihnen den schuldigen Respekt, nicht nur den guten und freundlichen, sondern auch den launischen. Es ist eine Gnade Gottes, wenn jemand ohne Schuld nur deshalb Kränkungen erfährt und leiden muss, ...«
»Wisst ihr«, meint Jerry, ein Mann Ende vierzig, plötzlich, »das ist ein sehr guter Abschnitt. Sklaverei funktioniert in dieser Welt. Ich weiß gar nicht, warum die Menschen dagegen protestieren. Schaut euch nur mal die kleinen Mädchen an, die in Asien als Prostituierte arbeiten. Sie haben zu essen. Sie haben ein Dach überm Kopf. Wir sollen doch Gott in allen Umständen danken. Das sagt die Bibel. Ich weiß wirklich nicht, warum wir Amerikaner glauben, wir hätten das Recht, in diese Länder zu gehen und den Menschen dort zu sagen, wie sie leben sollen.«
Die Frauen starren ihn alle mit offenem Mund an und warten darauf, dass er sich selbst korrigiert. ( Jerry war noch nie verheiratet, aber ich glaube, das brauche ich gar nicht zu erwähnen.) Seth schüttelt den Kopf - und fragt sich wahrscheinlich, wie Jerry sich da wieder rausreden wird –, und Jackie sieht aus, als würde sie ihn gleich anspringen. Sie überdenkt offensichtlich gerade ihre Haltung zu Grausamkeit an Tieren.
»Was ist denn schon der Unterschied, ob sie Prostituierte sind oder verheiratet?«, versucht Jerry zu erklären. »In diesen Ländern ist das das Gleiche.«
Er meint es absolut ernst. Wir sind hier in einer Bibelgruppe! Und wir diskutieren darüber, warum Prostitution nicht legal ist und es auch nicht sein sollte. »Ähm, zum Beispiel Krankheiten«, sage ich. »In der Bibel wurden Sodom und Gomorra wegen ihrer fehlenden Moral vernichtet, und nach Hebräer 13 verabscheut Gott Sex außerhalb der Ehe.«
Jerry sieht auf seine Bibel hinunter. »In der ganzen Bibel kommen Prostituierte vor.«
Jetzt weiß ich, dass meine Gemeinde eine missionarische Gemeinde ist. Es kommen viele zu uns, die Jesus noch nicht als ihren Retter angenommen haben, und es ist ein gutes Zeichen, dass sie sich bei uns wohlfühlen. Schließlich habe ich die Diebin im Gefängnis eingeladen. Problematisch wird es erst, wenn jemand wie Jerry die Gemeinde benutzt, um auf Brautschau zu gehen. Offensichtlich hatte er in den Aufreißerbars kein Glück (kann ich mir gar nicht erklären!), und jetzt beehrt er uns mit seinen Weisheiten.
Normalerweise wäre mein Herz voller Liebe für einen so armen verlorenen Sünder, aber heute Abend bin ich einfach nur genervt. Man muss kein Christ sein, um gegen Prostitution zu sein. Grundkenntnisse darüber, was richtig und falsch ist, würden genügen, denke ich. Aber Prostitution mit der Bibel zu rechtfertigen? Oh Gott, steh mir bei, sonst erwürge ich ihn.
Kay sieht Jerry geradeaus an. »Wenn dir jemand erzählen würde, dass in der Bibel immer wieder Eunuchen vorkommen und dass du auch in dieser Situation fröhlich sein sollst, würdest du das auch glauben?«
Jerry kratzt sich am Kopf. »Du vergleichst Äpfel mit Birnen.« Während alle von uns panisch bemüht sind, Jerry auf die rechte Bahn zu bringen, damit nicht alle Frauen in unserer Gruppe über ihn herfallen, blättert Seth schweigend in seiner Bibel und meldet sich plötzlich zu Wort. Er spricht beinahe im Flüsterton und hat damit unsere volle Aufmerksamkeit.
»Die Ehe soll in Ehren gehalten werden bei allen und das Ehebett unbefleckt; denn die Unzüchtigen und die Ehebrecher wird Gott richten. Hebräer 13,4. Klingt das wie Zustimmung zur Prostitution?«
Friede legt sich über den Raum. Warum versuchen Christen immer zu argumentieren, statt den Heiligen Geist wirken zu lassen? Eine Weile lang sind wir alle still.
Jerry nickt. »Ich verstehe.« Und ich glaube, er hat es vielleicht wirklich verstanden.
Kay schaut auf die Uhr. »Lasst uns zusammen beten. Amy, du bist dran, das Gebet zu leiten.«
Amy will gerade
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