LIEBES LEBEN
Antwort.
»Eigentlich bin ich gekommen, um dir zu sagen ...« Er hält inne und starrt mich an. Wieder stehen die Worte in seinen Augen geschrieben, aber sie kommen einfach nicht aus seinem Mund. Er setzt noch einmal an, hält aber wieder inne. Ich sehe, wie er sich innerlich endgültig von mir abwendet.
»Ich ... ich wollte dir nur sagen, dass du in meiner Eigentumswohnung bleiben kannst, ohne Miete zu zahlen. Sam hat jetzt eine eigene Wohnung, und ich weiß, dass du keine Bleibe hast.«
Ich schüttle nur den Kopf und versuche zu verarbeiten, was er mir gerade erzählt hat. Waren die Blumen wirklich ein Abschiedsgeschenk? Unmöglich. Er ist nicht extra bis hierher gefahren, um sich zu verabschieden - das hätte auch Zeit gehabt, bis ich heute Abend wieder zurück bin. Aber ich werde es ihm nicht abnehmen, es zu sagen. Nein, das werde ich nicht!
»Ich wollte nicht, dass du es von jemand anderem erfährst«, meint Seth.
»Gut.« Ich gebe ihm noch eine Chance. »Und der Kuss?«
»Was bedeutet schon ein Kuss zwischen Freunden?« Er lächelt mich leicht an.
Ja, was schon. Alles und nichts, beides auf einmal.
»Danke für dein Angebot. Aber ich habe schon alles mit Kay arrangiert. Ich kann nach deiner Wohnung schauen, wenn du möchtest. Blumen gießen und so.«
»Nein«, meint er kopfschüttelnd. »Ich werde sie entweder vermieten oder verkaufen, wenn du sie nicht brauchst. Ich dachte nur, falls du sie brauchst ...«
»Lieb von dir, dass du an mich gedacht hast.« Ich will ihn nicht so gehen lassen, und wenn ich das nicht will, dann war alles, was ich mir gerade selbst gesagt habe, eine Lüge. Wie kann ich mit Grundsätzen leben, wenn ich sie für einen einfachen Kuss verrate? Wenn ich keinen Respekt vor mir selbst habe, wie sollen andere mich da respektieren?
»Du bist nicht die, von der du glaubst, dass du sie bist, weißt du«, sagt Seth. Es hört sich wie ein Vorwurf an.
»Das verstehe ich nicht.«
»Du bist keine alternde Frau, die im Schatten von Arin und ihresgleichen lebt.«
Ihresgleichen? Was soll ihresgleichen heißen? Da ich nicht in Arins Schatten passe, weiß ich auch, dass ich dort nicht leben kann.
Er fährt fort. »Arin ist lieb. Sie ist süß. Du bist schön. Und du bist echt. Ich kann mit Arin ausgehen und mich dabei total lächerlich machen und es dann hinter mir lassen, weil es unwichtig ist. Es ist mir egal, was sie von mir denkt.«
Ich warte darauf, aus einem meiner Tagträume aufzuwachen.
Jetzt fühlt er sich frei, mir zu sagen, was er fühlt - jetzt, wo er sich gleich umdrehen und von mir weggehen wird. Jetzt, wo er in einen anderen Bundesstaat ziehen wird. Aber was bedeutet das wirklich? Ich kann ihn nicht dazu bringen, hier bei mir am Strand zu bleiben, nicht einmal in Kalifornien, und ich würde es auch gar nicht wollen. Das Leben besteht aus einer Reihe von Entscheidungen. Ich habe meine getroffen. Er hat seine getroffen.
Ganz gleich, wie, sie passen nicht zusammen.
31
Bei Kay Harding einzuziehen ist, wie in ein Trainingslager zu kommen. Das Klemmbrett hat seinen Ehrenplatz, an einem eigenen Haken am Kühlschrank. Organisation ist nicht einfach nur eine Charaktereigenschaft von Kay. Es ist ihr Lebensstil. Kay macht alles so, als sei das Klemmbrett ihr Chef, dessen Anweisungen sie ausführen muss. Sie ist eine Sklavin des Brettes.
Kay wäscht am Montag, kümmert sich am Dienstag um den Garten ... und so weiter. Zuerst dachte ich, ich drehe ihr den Kragen um, als ich ihr an ihrem Wäsche-Falt-Tag zusah. Es ist ein bisschen wie in diesem Internetshop, wo die Mädchen die Sachen immer und immer wieder sauber zusammenfalten. Man möchte am liebsten in den Bildschirm steigen, sie schütteln und schreien:
»Schnell! Macht, dass ihr wegkommt!« Das ist wahrscheinlich nur menschlich.
Mittwochs ist Single-Bibelstunde, und ich musste Kay versprechen zu kommen. Es ist schon mindestens ein Jahr her, seit ich das letzte Mal da war - weil ich dachte, dass Sonntagsschule genug ist - also ist es wohl mal wieder Zeit. Nicht Bibel zu lesen (das mache ich auch alleine), sondern in der Gruppe Bibel zu lesen. Auch dafür gibt es ein Ritual. Kay schaut auf ihre Liste und ruft am Vorabend diejenigen an, die dran sind, Snacks mitzubringen, um sie daran zu erinnern. Sie bittet schon vorher jemanden, das Anfangsgebet zu sprechen, und dann betet sie für das ganze Haus, unmittelbar bevor alle kommen. Ich mag Letzteres, auch wenn ich zugeben muss, dass es mich beim ersten Mal ein bisschen schockiert
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