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Liebesbrand

Liebesbrand

Titel: Liebesbrand Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Feridun Zaimoglu
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Stadtgeschichte. Es hörte sich in meinen Ohren wie eine wahre Geschichte an, ich fragte Jarmila nach dem Wagenrad, das neben
     dem baumelnden Kadaver des Lindwurms auch ausgestellt war, ach, das ist nur die eingelöste Wette eines Zimmermanns, sagte
     Jarmila, vielleicht haben die Stadtoberen auch Ketzer auf eben dieses Rad geflochten, und weil es nicht brach, haben sie den
     Meister, der es gezimmert hat, mit der Ausstellung des Schmuckstücks belohnt.
    Wenig später standen wir vor der Pestsäule auf dem Freiheitsplatz, wegen der vielen Schnappschuß-Fotografen gingen wir schnell
     weiter, folgten den Straßenbahngleisen bis zu der Jakobskirche, ich hatte keine Lust, schon wieder eine Kirche zu besichtigen,
     Jarmila machte keine Anstalten, einzutreten, sie ging um das Gotteshaus herum und zeigte auf die Wasserspeier mit den fratzenhaften
     Gesichtern und dann auf eine Figur über dem Türsturz eines Turms. Ich sah einen Mann, der seinen entblößten Hintern zeigte,
     endlich kein Heiliger und kein Held, es gefiel mir, und es gefiel auch vielen anderen Touristen, die einander kichernd anstießen
     und ihre Mobiltelefone hochhielten, um ein Erinnerungsfoto zu machen. Der da oben wird allen als ›das schamlose Männchen‹
     verkauft, sagte Jarmila, und sie erzählen allen Menschen, daß sich damit ein um seinen Lohn gebrachter Steinmetz rächen wollte,
     aber auch |223| hier gibt es eine geheime und wahre Geschichte, die du jetzt und sofort hören möchtest, oder nicht?
    Ja, bitte, sprach ich hastig.
    Wenn man auf das Männchen einen zweiten und dritten Blick wirft, fuhr sie fort, entdeckt man, daß es mit seinem Körper das
     Weibchen verdeckt, dort oben sieht man also … Sagt man das … Liebesakt?
    Kann man, aber es klingt etwas technisch.
    Gekonnte Liebe ist auch perfekte Technik, sagte sie.
    Was sollte ich ihr darauf erwidern, ich schaute sie an, ich schaute wieder hoch, und obwohl ich mir Mühe gab, gelang es mir
     nicht, die verdeckte Frau zu erkennen, vielleicht hatte ein rachsüchtiger Bildhauer seinen Fluch in Stein gemeißelt, vielleicht
     hatte er aber auch der Bitte eines Priesters entsprochen, der das Gebot der Keuschheit nur bedingt befolgen mochte.
    Wo hast du deinen Auftritt? sagte ich.
    Diesmal in einem geschlossenen Raum, sagte sie, ich bekomme das Geld in bar, und ich bin in der Stimmung, es zu verjubeln.
     Wirst du mir wieder zusehen?
    Gerne.
    Die Schlange streift ihre Haut ab … so lautet mein erster Satz. Und jeder Satz stammt von mir.
    Du hast ein Stück geschrieben.
    Ich habe viele Sätze geschrieben, sagte sie, mehr kann man von mir nicht verlangen.
    Worum wird es gehen? sagte ich.
    Um eine Liebeserklärung … an die Brünner.
     
    Und so war es dann auch, Stunden später in der Privatwohnung eines pensionierten Bürgermeisters einer Kleinstadt, der nicht
     nach Prag, sondern in das näher gelegene Brünn gezogen war, seiner Frau zuliebe, die sich, wie sie nach zehn Minuten Bekanntschaft
     freimütig erzählte, von einem Wunderdoktor Mistelextrakt |224| in den Nacken spritzen ließ, sie war eine Person, die es nicht ertrug, wenn die Unterhaltung zu stocken drohte. Jarmila stellte
     mich als einen guten Freund vor, es gab keine zähen Nachfragen und keine Zweifel, die Tschechen waren im allgemeinen ein sehr
     höfliches Volk, sie fragten nicht nach der Natur eines Freundschaftsverhältnisses, sie ließen die Dinge auf sich beruhen.
     Die geschlossene Gesellschaft bestand aus Kulturbürgern in Ehrenämtern, die Frauen unterhielten sich über die bestickten Sofakissen
     der Gastgeberin, die Männer stürzten den Wein herunter und ließen sich das Glas lächelnd auffüllen. Jarmila bat mich, im Näh-
     und Arbeitszimmer zu sitzen, bei offener Tür, und als sie mit ihrer Aufführung begann, stand sie im Flur, deklamierte ihre
     Sätze und schaute mir ins Gesicht, ich spielte ihren störrischen Bruder, der es sich in den Kopf gesetzt hatte, Brünn zu verlassen,
     und wer Brünn verläßt, hat nichts verstanden, rief sie, und sie sprach den Text, den ich schon kannte, sie wandelte ihn etwas
     um.
    Als ihr letztes Wort verklang, schrien die Männer und Frauen bravo, es war mir sehr peinlich, daß mich Jarmila herbeiwinkte
     und ich mich mit ihr verbeugen mußte, diese Rolle paßte zu mir, ich hatte nichts anderes zu tun, als stumm zu sitzen und für
     die Zuschauer unsichtbar zu bleiben. Schließlich saß man zu Tisch, es gab Fleisch im Übermaß, die Köchin brachte große

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