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Liebesdienst

Liebesdienst

Titel: Liebesdienst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Howard Jacobson
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sich durch einen Müllsack genagt hat; Marius dagegen gehörte zu der Gattung amphibischer Säugetiere, die schimmernd aus dem Meer auftauchen und sich wie Neptun Silbertröpfchen von ihrem Torso abschütteln. Oder wie der einsame Wassergeist aus dem Gedicht von Matthew Arnold, nur dass Marius die einsame Erscheinung zur Gänze abgestreift hatte. Sein Schnurrbart war getrimmt, seine Augen hatten den schmerzlichen Ausdruck verloren, seine Aussprache war deutlich, und wenn mich nicht alles täuschte, hatte er sich auch neue Kleider zugelegt – ein schwarzes Cordjackett, das ich vorher noch nie an ihm gesehen hatte, einen gestreiften Anzug, der etwas unkonventionell und in dem gleichen Geist wie Marisas Kostüme mit der Kleiderordnung der City spielte, und einige weiche italienische Hemden, die hochgeschlossen waren und seinem ohnehin überheblichen Ausdruck noch mehr Arroganz verliehen.
    Wie gesagt, ich habe ihn nicht mehr so häufig beobachtet wie in der Zeit, bevor er Gast in meinem Haus wurde. Es war keine reine Vorsichtsmaßnahme, es war auch logisch. Wenn er um vier Uhr nachmittags bei meiner Frau lag, dann konnte er sich nicht draußen auf der High Street aufhalten oder, frustrierter Schöpfergeist, der er war, in seiner Wohnung über dem Knopfgeschäft auf und ab gehen. Mein Interesse hatte deswegen nicht nachgelassen, jetzt, da er mein war, sozusagen. Marisas mitternächtliche vertrauliche Berichte hatten meine Neugier nicht gezähmt. Ich war auf keinen Fall davon überzeugt, dass ich alles Wissenswerte über ihn erfuhr. Doch ich musste wachsamer sein als vorher, als es noch nicht darauf ankam. Alle Beteiligten hätten zu viel verloren, wenn er mich jetzt entdeckt hätte.
    Trotzdem ließ ich ihn nie ganz aus den Augen. Über das Menschengetümmel erhaben, sah er kaum, wo er langging, jetzt, da er Marisa im Kopf hatte. So konnte ich ihn ausgiebig betrachten, wenn er auf dem Sonntagsmarkt Brot einkaufte oder sich gegenüber seine Financial Times abholte. Einmal liefen wir aneinander vorbei, als er gerade von seinem Chiropraktiker kam; mir stockte der Atem, aus Angst vor der Konfrontation, aber er schlenderte weiter, ohne mich zu bemerken.
    Â»Liebe sie«, flüsterte ich, als ich ihn sah. »Liebe sie, liebe sie, liebe sie.«
    War das ein Zeichen, dass ich nachsichtiger ihm gegenüber geworden war? Im Verlauf unserer zurückliegenden Begegnungen hatte ich mir immer vorgestellt, ich würde »Fick sie!« zu ihm sagen. »Fick sie, fick sie, fick sie.«
    War »Liebe sie, liebe sie, liebe sie« der Beweis für die Richtigkeit meiner These, dass man den Mann, der die eigene Frau fickt, lieben kann, wenn man nur im Kopf damit klarkommt?
    Vielleicht war es diese neue Milde in meinen ehelichen Gefühlen, die mich einige Monate nach Beginn unseres Arrangements, als wir »zufällig« – von wegen das Schicksal ist ein Zuhälter – um vier Uhr an einem Marisa-freien Tag in einer Buchhandlung in der High Street aufeinandertrafen, dazu bewog, ein Gespräch mit ihm zu beginnen. Allerdings lässt sich auch Missgunst als Motiv bei einem gehörnten Ehemann nie ganz ausschließen. Es war mir, der alles über ihn wusste, eine Genugtuung, ihm, der nichts über mich wusste, auf diese Weise die Stirn zu bieten. Und außerdem war da der Wonneschauer, die Nachwirkungen von Marisa auf seiner Haut aus nächster Nähe zu sehen. Was für ein Gefühl ist das, den Atem des Mannes zu riechen, der deine Frau geplündert hat.
    (»Was soll dieses geradezu altväterliche Gerede von ›eindringen‹?«, hatte Marisa mich im Verlauf einer der ersten Anlässe, bei denen ich sie aufgefordert hatte, mir über die Nachmittagsstunden mit ihm zu berichten, gefragt.
    Â»Den Ausdruck habe ich von dir. ›Der Moment des Eindringens ist bildlich bestechend‹, das sind deine Worte.«
    Â»Oh, Felix.«
    Â»Was willst du damit sagen? Dass er doch nicht in dich eindringt?«
    Â»Im wörtlichen Sinne vermutlich schon.«
    Â»Vermutlich? Für mich war eindringen gut genug. Warum ist es für ihn zu wörtlich?«
    Â»Weil es sich bei dir wie ein Einbruch anhört, aber so fühlt es sich nicht an.«
    Â»Wie fühlt es sich denn an?«
    Â»Nein, Felix. Bitte nicht.«
    Ich biss mir auf die Lippe. Man wird in meinem Alter nicht gerne ermahnt. Dabei war meine Frage doch ganz einleuchtend. Wenn es

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