Liebesdienst
hielt.
»Er ist da entlanggegangen«, sagte ich.
Meine Worte schienen ihr zu helfen, sich wieder zu besinnen. Ohne mich eines Blickes zu würdigen, zog sie sich ihre Schuhe an und ging in die entgegengesetzte Richtung davon.
Ich blieb ungefähr noch eine Stunde auf der Bank sitzen, trotz des Nieselregens, der eingesetzt hatte. Aus dem Baum über mir hüpfte ein Vogel hervor. Eine Elster â was sollte es anderes sein? »Guten Tag, Herr Elster«, sagte ich. »Wie geht es Frau Elster?«
Das hätte mir den Rest gegeben, wenn nicht genau in diesem Moment der Mann mit dem fuÃballspielenden Hund zurückgekehrt wäre. Ich lachte den Hund an. Nichts geht über einen Hund, den man anlachen kann, wenn man keine Frau hat. Es war ein Dackel oder etwas Ãhnliches. Obwohl er keine langen Beine hatte, behielt er den Ball perfekt unter Kontrolle. Bestimmt dachte er, er würde einen Dachs kicken.
»Ihr Hund kann aber gut dribbeln«, sagte ich zu dem Besitzer.
»Das finden Sie gut? Sie sollten ihn erst mal im Tor sehen.«
Ich lachte, bis mir die Tränen über die Wangen liefen.
5 Der Ehemann
»Ich bin die Wunde, bin der Stahl,
Ich bin der Streich und bin die Wange,
Ich bin das Glied und bin die Zange,
Und bin der Quäler und die Qual.«
Charles Baudelaire, Die Blumen des Bösen
Und nun die wohlverdiente Strafe â¦
So hat es doch zu sein, oder? Nach dem Vergehen folgt die Vergeltung. Anna Karenina muss sich vor einen Zug werfen. Don Giovanni wird von der Erde verschlungen. Die Rache ist mein, spricht der Herr, obwohl dem Herrn das völlig egal ist. Was wir der moralischen Gerechtigkeit zuschreiben, ist lediglich das schlechte Gewissen des Lesers, des Zuschauers, des Beobachters, des ewigen Voyeurs der Kunst, der entschädigt werden will, um die Gelüste, die seine Neugier aufrechterhalten haben, vor sich selbst zu rechtfertigen. In Wirklichkeit ist die Strafe, wenn sie überhaupt folgt, meist viel prosaischer. Anna Karenina wird sehr wahrscheinlich einen anderen Ehemann im Staatsdienst finden, der sie nicht minder glücklich machen wird als der erste; und Don Giovanni, mittlerweile kahl und ohne Zähne, wird am längsten Tag des Jahres in seinem Adressbuch blättern und feststellen, dass von denen, die noch leben, keine mehr mit ihm spielen will. Aber wir haben nicht in einem fort und was dann und was dann gefragt, nur um dann festzustellen, dass dem Sex irgendwann die Puste ausgeht. Unsittlichkeit muss ein grandioses und furchtbares Ende nehmen, nur unter dieser Voraussetzung blättern wir weiter, Pornografen bei der Lektüre der ersten Kapitel, in der Erwartung, als Puritaner die letzten zu lesen. In dieser Hinsicht besitzt der brave Bürger die gleiche Unheil verkündende dreckige Fantasie wie der Deviant â in beider Vorstellung ist Sex dermaÃen verschlingend, dass nichts Unsauberes übrig bleibt.
Hier also eine Szene, die Puritanern und Pornografen gleichermaÃen das Herz erwärmen wird: Ein Mann, mir sehr ähnlich, wieder auf einem Friedhof â denn seine schmutzige Geschichte begann auf einem Friedhof â, steht an einem offenen Grab, trauert um seine Frau, die er verloren hat, und weiÃ, dass er sich niemals verzeihen wird. Er hat ihr nicht zugehört, als sie versuchte, ihm etwas mitzuteilen, denn er hatte nur Ohren für etwas anderes. Aber da ist noch ein Mann, der sich über das Grab beugt, auch einer, der gerne Friedhöfe heimsucht, auch einer mit einer Vorliebe für den Tod, und nun also beide in ewig stummer Reue vereint.
Hübsches Bild. Und gar nicht mal so weit von der Wahrheit entfernt, würde ich sagen. Aber es war nicht das, was passierte.
Was passierte, war schlimmer, je nachdem, wie man es sieht. Aber ich will nicht, dass jeder seine oder ihre wohlverdiente Strafe bekommt. Mögen unsere Begierden anständig oder unanständig sein, allein die Sterblichkeit kann sie vereiteln, denn unsere Körper sind schwächer als unsere Einbildungskraft.
Ich hielt mich einen Tag von zu Hause fern, wie Marisa es sich gewünscht hatte. Ich hielt mich sogar zwei Tage fern, nur um sicherzugehen. Mir war eingefallen, dass es in der Nähe des Parks in Primrose Hill ein Hotel gab. Kein vornehmes Haus, aber darauf legte ich auch keinen besonderen Wert. Nicht in meinem Gemütszustand. Und auch nicht in meiner Tangokleidung. Ich lieà mir das Essen bringen und verlieà zwei Tage lang
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