Liebesdienste / Roman
herumschleppte. Louise sollte eigentlich warme und kuschlige Gefühle für die Frau hegen, bei der Polizei waren nur fünfundzwanzig Prozent Frauen, sie sollten einander unterstützen, bla, bla, bla, aber ehrlich gesagt, sie hätte Jessica gern in die Enge getrieben und ihr ein paar böse Tiefschläge versetzt, wie man das auf dem Schulhof tat.
Das Funkgerät gab ständig Meldungen von sich. Eine Menge Ladendiebstähle. Was war, wenn Archies Ausflug in die Kriminalität keine einmalige Sache gewesen war? Was würde sie tun, wenn er das nächste Mal erwischt würde? Louise blickte auf die Uhr, er sollte mittlerweile von der Schule zurück sein.
Sandy wandte sich an sie und fragte unvermittelt wie von Vater zu Mutter: »Wie geht’s Ihrem Jungen?«
»Gut«, sagte Louise. »Archie geht’s gut. Sehr gut«, fügte sie hinzu, um eine beschwingtere Note einzuführen, »es geht ihm sehr gut.« Sandy hatte einen Jungen, aber er war erst sechs oder sieben, noch harmlos.
Sie stieg aus dem Wagen und hielt ihr Handy hoch, um Sandy und Jessica kurz, aber deutlich zu signalisieren:
Ich muss telefonieren und will nicht, dass ihr mithört.
Sie fragte sich, was sie über sie sagten, wenn sie nicht da war. Es war ihr eigentlich egal, solange sie fanden, dass sie ihren Job gut machte.
Sie ging hinaus auf den Damm, von ihrem Display war das Netz bis auf einen Strich verschwunden. Jackson Brodie behauptete, er habe überhaupt kein Netz gehabt, weswegen er die Polizei von der Insel aus nicht angerufen hatte.
Sie kehrte zurück, und das Netz baute sich auf. Nach mehrmaligem Läuten schaltete sich ihr Anrufbeantworter ein, und sie lauschte einer festen männlichen Stimme, die sie davon in Kenntnis setzte, dass im Moment niemand zu sprechen sei, und sie möge doch »eine Nachricht hinterlassen«. Freundlich und neutral, kein »bitte« oder »danke« (Ich bin eine höfliche Frau, die darum bittet, beleidigt zu werden), kein »Tut uns leid, niemand zu Hause« (eine Einladung an Diebe), kein Versprechen zurückzurufen. Die männliche Stimme gehörte dem Mann einer Freundin, der die Ansage aufgesprochen hatte, nachdem Louise, obwohl sie nicht im Telefonbuch eingetragen war, mit Anrufen belästigt worden war. Manche Typen wählten einfach irgendeine Nummer, bis sich eine Frau meldete. Es gab Tausende davon dort draußen, die die frühen Morgenstunden damit verbrachten, die Telefonseelsorge und den Kindernotruf und ahnungslose Frauen anzurufen. Wichser, in jeder Beziehung. Sie hatte das ungute Gefühl, dass Archies Freund Hamish der Anrufer gewesen war.
»Archie, wenn du da bist, kannst du abnehmen?« Wenn es in der Hölle friert. Louise wusste nicht, warum sie sich die Mühe machte, er ging nie ans Telefon, außer er glaubte, ein Freund rief an. Sie versuchte es mit seinem Handy, aber sofort schaltete sich die Mailbox ein. Wenn sie gekonnt hätte, hätte sie ihm einen Sender ins Genick implantieren lassen.
Schließlich gab sie nach und benutzte die einzige Lingua franca, die Vierzehnjährige verstanden. Sie schrieb ihm eine SMS :
Bist du zu Hause? Iss was aus der Kühltruhe. Komme später. Xxx, Mum.
Seltsam, sich so zu nennen, es zu schreiben. Sie sah sich nicht als »Mum«. Vielleicht hatte sie da etwas falsch gemacht? Hatte sie etwas falsch gemacht? Wahrscheinlich.
Archie schaffte es gerade, eine Pizza oder einen Burger aus der Kühltruhe zu holen und in die Mikrowelle zu schieben. Es war sinnlos, ihn zu Größerem herauszufordern.
(Ein Omelett, du kannst dir doch bestimmt ein Omelett machen?)
Ihr Telefon klingelte, nicht Archie war dran, sondern Jim Tucker. »Mein Mädchen starb an einer Überdosis Heroin«, sagte er ohne Einleitung, »wir haben sie noch nicht identifiziert. Der Zahnmediziner sagt, ihr Mund ist, ich zitiere, ›voller Schrott‹. Er meint ausländische Füllungen. Osteuropäische, so wie sie aussehen.«
»Also keine zahnmedizinischen Unterlagen«, sagte Louise.
»Nein, und ich weiß nicht, ob es stimmt, aber jemand hat behauptet,
Hilfe
wäre eine Reinigungsfirma.«
»Eine Reinigungsfirma?«
Kaum hatte sie sich von Jim Tucker verabschiedet, klingelte das Telefon erneut.
»Ich versuche die ganze Zeit, dich anzurufen«, beschwerte sich Archie.
»Ich habe versucht, dich anzurufen, und du meldest dich
nie.«
»Kann Hamish über Nacht bleiben?«
»Ihr habt morgen Schule.«
»Wir müssen zusammen für Erdkunde eine Arbeit machen.«
»Was für eine Arbeit?«
Es folgte ein kurzes unverständliches Gespräch,
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