Liebesdienste / Roman
zum Frühstück essen, »zwiderwurzig« hätte sein Vater sie genannt, dabei sprach sie mit einem Akzent so weich wie schottischer Dunst.
»Alles übers Telefon?«, sagte Jackson. »Wie kriegen Sie neue Kunden?«
»Mundpropaganda. Persönliche Empfehlungen.«
Eine blasse junge Frau mit der Statur einer Bäuerin kam feindselig gestimmt aus dem nächsten Haus, nahm wortlos Eimer und Mopps und trug sie hinein. »Ich hole euch in zwei Stunden wieder ab«, rief ihr die Haushälterin nach, dann stieg sie in den Kombi und fuhr davon, ohne Jackson eines Blickes zu würdigen.
Jackson schlenderte in die entgegengesetzte Richtung, versuchte gleichgültig zu wirken für den Fall, dass ihn die Haushälterin im Rückspiegel beobachtete. Als der rosa Kombi nicht mehr in Sichtweite war, kehrte er um und betrat das Haus durch die Vordertür. Er hörte, dass in der Küche Wasser lief und oben etwas klapperte. Von der Rückseite des Hauses drang das Geräusch eines aggressiv geführten Staubsaugers, woraus Jackson schloss, dass mindestens drei Frauen hier waren. Natürlich waren es vielleicht nicht nur Frauen. Keine sexistischen Vorurteile, das brachte einen nur in Schwierigkeiten. Bei Frauen zumindest.
Er beschloss, die Frau in der Küche ins Visier zu nehmen. Mach halblang, sagte er sich, du befindest dich hier nicht in einer potenziell bedrohlichen Situation. Armeejargon. Die Armee lag so weit zurück, und doch war sie als Muster noch in ihm präsent. Manchmal fragte er sich, was aus ihm geworden wäre, wenn sein Vater ihn hätte einfahren lassen und er nicht zur Armee gegangen wäre. Jeder Aspekt seines Lebens wäre anders, er selbst wäre ein anderer Mensch. Man hätte ihn natürlich mittlerweile zum alten Eisen gezählt, er wäre überflüssig, unerwünscht. Aber war er das jetzt nicht auch?
1995, er erinnerte sich an das Jahr, an den Augenblick, war er zu Hause in Cambridge gewesen, als seine Frau noch seine Frau war, nicht seine Ex, und er war noch Polizist und sie hochschwanger mit Marlee (Jackson stellte sich vor, ihr Baby wäre in seiner Frau fest verpackt wie das Herz eines Kohlkopfs), und Jackson spülte nach dem Abendessen das Geschirr (als er das Abendessen noch »Tee« nannte, bevor seine Sprache von seiner Frau zu mehr Mittelklasse aufpoliert wurde). Gegen Ende ihrer Schwangerschaft aßen sie früh, hätten sie später gegessen, wäre sie zu voll gewesen, um noch schlafen zu können, und während er die Töpfe scheuerte, hörte er die Sechs-Uhr-Nachrichten auf Radio 4, und mittendrin kam die Meldung, dass die Grube geschlossen worden war, in der sein Vater sein ganzes Leben lang gearbeitet hatte. Jackson wusste nicht mehr, warum es diese Zeche in die Nachrichten geschafft hatte, wenn so viele andere ohne großes Aufheben bereits geschlossen worden waren – vielleicht weil es die größte Kohlenmine der Gegend war, vielleicht weil es die letzte noch aktive Zeche der Region war, wie auch immer – er stand mit einem nassen Teller in der Hand da und hörte dem Nachrichtensprecher zu, und ohne Vorwarnung begannen ihm die Tränen übers Gesicht zu laufen. Er wusste nicht einmal, worum er weinte – vermutlich um alles, was es nicht mehr gab. Um den Weg, den er nicht eingeschlagen hatte, um die Welt, in der er nie gelebt hatte. »Warum weinst du?«, fragte Josie und wälzte sich schwerfällig in die Küche – sie passte kaum mehr durch die Tür. Damals interessierte sie sich noch für alle seine Gefühle. »Verdammte Thatcher«, sagte er, tat es auf männliche Weise ab, ließ es politisch und nicht persönlich klingen, obwohl es in diesem Fall beides war.
Und dann bekamen sie das Kind und eine Geschirrspülmaschine, und Jackson machte weiter und dachte lange nicht mehr an den Weg, den er nicht eingeschlagen hatte, eine Lebensweise, die er nie gelebt hatte, was ihn aber dennoch nicht davon abhielt, sich an einem verwirrten Ort seiner Seele danach zu sehnen.
Das von ihm ins Visier genommene Mädchen stand ebenfalls an der Spüle, wrang einen Lappen aus und wischte kraftvoll über die Ablauffläche, vor und zurück, vor und zurück. Keine Kruzifixohrringe, soweit er sehen konnte. Sie kehrte ihm den Rücken zu und sang das Lied im Radio mit einem fremdländischen Akzent mit. Im Haus gab es so viele Hintergrundgeräusche, dass Jackson nicht wusste, wie er weiter vorgehen sollte, ohne ihr Angst einzujagen. Drei Dinge fielen ihm auf, erstens, sie war nicht die Bäuerliche, die die Haushälterin angeknurrt hatte,
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