Liebesdienste / Roman
nicht«, wunderte sich Martin. »Wer hat mich denn als Richard Moat identifiziert? Wer hat Richard Moat als mich identifiziert?« Eine Frage, die vermutlich vom Betrachter abhing.
»Ich glaube, es war Ihr Bruder, Mr. Canning«, sagte Sutherland.
»Mein
Bruder?«
Sein eigener Bruder hatte ihn fälschlicherweise identifiziert? Das sagte irgendwie alles über ihre Beziehung.
Sutherland tippte sich aufs Handgelenk. Martin fragte sich, ob es eine Art Freimaurergeste war, bis Sutherland sagte: »Die Uhr, wir haben ihm Ihre Uhr gezeigt, Martin. Es war eine informelle Identifizierung, wir hätten die Wahrheit schon noch herausgefunden.«
»Ich rufe ihn wohl besser an«, sagte Martin.
»Wahrscheinlich.«
Es wurde ein merkwürdiges Gespräch (»Ich bin nicht tot, Chris, die Polizei hat einen Fehler gemacht«), das nicht gut verlief. Christopher war noch auf der Fahrt nach Hause. »Ich komme gerade an Haddington vorbei«, sagte er, als wäre seine geografische Position von Bedeutung. »Einen Augenblick, ich habe die Hände nicht frei.« Darauf folgten fummelnde Geräusche, ein Fluch, der darauf schließen ließ, dass das Handy zu Boden gefallen war, Scharren und schließlich: »Ich möchte nicht von einem Scheißpolizisten herausgewunken werden.« Martin fragte sich, ob Sutherland, der ihm am Tisch gegenübersaß, die Verunglimpfung gehört hatte.
Anschließend bemächtigte sich eine Reihe von Gefühlen Christophers – Ungläubigkeit, Schock, Enttäuschung, und schließlich folgte ein gereiztes »Himmel, Arsch und Zwirn, Martin«, als hätte Martin ihm einen irren Streich gespielt.
Martin nahm an, dass sein Bruder die letzten traurigen Stunden damit verbracht hatte, sich an die Vorstellung zu gewöhnen, dass er für die nächsten siebzig Jahre das Urheberrecht an Martins Büchern besitzen würde, ganz zu schweigen von seinem Haus in Merchiston.
Gott sei Dank hatten sie seine Mutter in Eastbourne nicht angerufen. Er versuchte sich vorzustellen, wie seine Mutter auf die Nachricht von seinem Tod reagiert hätte. Vermutlich wäre sie unterwältigt gewesen.
Die anonyme Stimme meldete sich wieder über das Funkgerät, und Clare verdrehte die Augen, weil sie noch immer kein Zimmer für ihn gefunden hatten. »Man sollte meinen«, sagte sie, ein Satz, der anscheinend nicht beendet werden musste.
Martin seufzte. »Ich glaube, ich weiß, wo es noch freie Zimmer gibt.«
»Alles ein ziemliches Durcheinander, oder?«, sagte Clare gut gelaunt zu Martin. »Es steht in den Zeitungen. Dass Sie tot sind.«
»Dass ich tot bin«, wiederholte Martin. Sein Tod war öffentlich verkündet worden. Ein Mord wurde öffentlich bekannt gegeben. Es war, als hätte ihn ein Medizinmann mit einem Fluch belegt, ihn zu Unsichtbarkeit oder zum Tod verurteilt. War es nicht so? Der Medizinmann sagte einem, dass man sterben würde, und dann starb man, durch die Macht der Suggestion mehr als durch die Fähigkeit zu hexen, aber die Mittel waren nicht wichtig, wenn das Ergebnis gewiss war.
Martin bat Clare an einem Zeitungskiosk in der George Street zu halten. Ein Vorteil, vielleicht der einzige Vorteil eines Streifenwagens war, dass man damit anhalten konnte, wo man wollte.
»
Edinburgher Schriftsteller ermordet
«, las er laut aus der
Evening News
vor, als er wieder einstieg. »Die Berichte über meinen Tod sind höchst übertrieben«, fügte er hinzu.
»Nun, ja«, sagte sie verwirrt, »weil Sie eigentlich nicht tot sind, oder?«
»Nein, das bin ich nicht«, pflichtete er ihr bei.
Unter der Überschrift befand sich ein Foto, eine Art schlechter Urlaubsschnappschuss, den jemals gesehen zu haben er sich nicht erinnerte, und er fragte sich, wo sie ihn aufgetrieben hatten.
Der Verkehr zwang sie, vor den Assembly Rooms stehen zu bleiben. Auf einem Plakat für eine Benefizgala zugunsten von Amnesty wurde noch Richard Moat angekündigt, in kleinen Lettern ganz unten.
Clare nutzte die Gelegenheit, die Seite zu überfliegen. »Sie sind echt berühmt«, sagte sie und klang überrascht.
»Alex Blake, dessen richtiger Name Martin Canning lautete, wurde zum Priester geweiht, bevor er Religionslehrer wurde«,
fuhr Clare fort,
»… fing erst spät im Leben mit dem Schreiben an.«
»Ich war nie Priester«, sagte Martin. »Das ist eine Fehlinformation. Und ich glaube nicht, dass zweiundvierzig spät im Leben ist, oder?«
Sie schwieg und lächelte ihn wieder auf ihre mitfühlende Art an. Wie alt war Clare? Sie sah aus wie zwölf. Er öffnete die
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