Liebesdienste / Roman
klebte ein Plakat für Richard Moats
Komisches Viagra für den Kopf
. Jemand hatte mit Filzstift »Abgesagt« über sein Gesicht gekritzelt.
Julia trat einen Schritt zurück und sagte: »Die Aufführung sollte um neun zu Ende sein, obwohl wir heute Nachmittag überzogen haben. Danach werden wir wahrscheinlich essen gehen, dann was trinken. Komm mit und hilf uns, die Wunden zu lecken.« Er wünschte, sie würde in einem guten Stück mitspielen, einem, für das die Kritiker schwärmen würden und das es vielleicht sogar bis ins West End schaffen würde.
Plötzlich schoss ihm ein schrecklicher Gedanke durch den Kopf. »Deine Schwester kommt doch nicht zur Premiere, oder?«
»Amelia?«
Sie sagte es, als hätte sie eine große Auswahl an Schwestern, als würden Olivia und Sylvia noch leben. Vielleicht lebten sie für Julia tatsächlich noch.
»Ja, Amelia.«
»Nein, ich habe ihr gesagt, sie soll später kommen, wenn das Stück schon eine Weile läuft. Es wird ihr sowieso nicht gefallen, es ist nicht ihr Ding. Sie mag Shakespeare, Ibsen, Tschechow. Ich dachte, sie könnte für ein paar Tage kommen. Das wäre schön, oder?«
»Halt mich zurück.«
»Sei nicht so, Jackson. Außer Amelia habe ich niemanden.«
Jackson sah davon ab, das Offensichtliche zu sagen,
Du hast mich
, für den Fall, dass es einen Streit provozierte.
»Ach, das hätte ich beinahe vergessen«, sagte Julia plötzlich lebhaft (seit wann wechselten ihre Stimmungen so rasch?). Sie griff in ihre große Teppichtasche, zog alles Mögliche heraus, bevor sie fand, wonach sie suchte. »Freikarten!«, sagte sie mit erzwungener Fröhlichkeit. Als Jackson keinen Versuch machte, sie an sich zu nehmen, drückte sie ihm die Karte in die Hand.
»Mit wem hast du diesmal Mittag gegessen, um sie zu kriegen?«, sagte er. Warum konnte er den Mund nicht halten? Er hatte es als Witz gemeint (zugegebenermaßen kein guter), aber es klang kränkend. Doch Julia lachte nur: »Ach, Schatz, ich musste mit zwei Clowns und einem Elefanten vögeln, um dranzukommen. Der
Zirkus
, Jackson, es sind Karten für den Zirkus, sie haben sie umsonst verteilt, sie wollten Leute zusammentrommeln, der Zirkuswallah hat sie mir gegeben. Das wird ein Spaß. Geh hin. Hol die Kindheit nach, die du nie gehabt hast.«
»Einen Daiquiri-Lemon und einen Glenfiddich, bitte«, sagte Jackson zum Barkeeper. Es war ein hübscher altmodischer Pub, keine Musik, keine Spielautomaten, viel poliertes Holz und Buntglas. Er war von Natur aus kein Whiskytrinker, aber seit seiner Ankunft schien er eine Menge von dem Zeug geschluckt zu haben. Das musste die ganze Zeit in seinem schottischen Blut geschlummert und nach ihm gerufen haben.
»Trotzdem waren Sie nie zuvor in Schottland?«, fragte Louise Monroe. »Das ist komisch, finden Sie nicht? Meinen Sie, dass Sie etwas aus dem Weg gehen? Psychologisch gesprochen?«
Also kein Small Talk, dachte Jackson, kein nettes Kennenlernen, kein tastendes Erforschen der Vergangenheit,
Ich war im Urlaub in Frankreich/Oh, in welchem Teil?
oder
Sie mögen Countrymusik?/Was für ein Zufall, ich auch.
Stattdessen gleich zum Kern der Sache –
Sind Sie psychisch vorbelastet? Verdrängen Sie etwas?
»Ich weiß nicht«, sagte Jackson. »Was ist mit Ihnen? Gehen Sie etwas aus dem Weg?«
»Sie beantworten eine Frage mit einer Frage«, sagte sie, als wäre er gerade bei einer Prüfung durchgefallen. »Diese Psychopathologie ist interessant, nicht wahr?«
»Das ist ein großes Wort«, sagte Jackson. »Sie sind hübsch
und
schlau, was?«
»Sie verhalten sich wie ein Idiot, aber Sie sind nicht dumm.«
Jackson fragte sich, ob das ein Kompliment sein sollte.
»Wie auch immer, prost«, sagte sie und trank einen gesunden Schluck von ihrem Daiquiri.
»Nieder mit Königen und Tyrannen«, erwiderte Jackson und hob sein Glas. Er hatte geglaubt, dass Daiquiris zu den Drinks gehörten, an denen man nippte. Er mied Cocktails für den Fall, dass sie beladen mit Sonnenschirmchen und eklig süßen Kirschen auf Zahnstochern serviert wurden, aber der Daiquiri sah sauber und einladend aus.
»Probieren Sie«, sagte sie und hielt ihm das Glas hin, und er erschrak über dieses unerwartet intime Angebot. Er war in einem sparsamen Haushalt aufgewachsen, wo sie sich das Essen gegenseitig vom Teller stahlen und nicht freiwillig etwas anboten. Er sah noch immer seinen Bruder Francis vor sich, der ihm zuzwinkerte, während er seiner Schwester ein Würstchen vom Teller klaute – und für seine
Weitere Kostenlose Bücher