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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Veranstaltungsort fungierte und in dem sich auch Schauspielerinnen eines anderen Stücks drängten, die meisten in Unterwäsche. Jackson versuchte, nicht hinzusehen. Er kam sich vor, als wäre er hinter der Bühne einer Stripshow, wenn auch einer ziemlich hochgeistigen, in der Leute sagten: »Ich kann nicht glauben, dass er mir gestern während der
ganzen Show
das Licht genommen hat.« Julia hatte ihr Sack-und-Asche-Kostüm ausgezogen, war aber immer noch unschlüssig, unwillig, die Theaterwelt zu verlassen. Natürlich war jeder Tag für Julia eine Vorstellung.
    »Du hast gesagt, du hättest etwas mit ihm getrunken«, sagte Jackson, »von Essen hast du nicht gesprochen.«
    »Ist das wichtig?« Julia runzelte die Stirn.
    »
Jetzt
nicht mehr«, sagte Jackson.
    »Wie meinst du das ›
jetzt
nicht mehr‹? Wäre es wichtig, wenn er noch am Leben wäre?« Julia hatte ihre heisere Stimme zu einer dramatischen Tonlage erhoben. Sie hätte die ganze Albert Hall ohne Verstärker mit ihrer Stimme füllen können. »Ich hatte ein Käsebrötchen, er Pasta, das kann man wohl kaum
cunnilingus
nennen.«
    Die Schauspielerinnen in Unterwäsche drehten sich zu ihnen um.
»Bitte«,
zischte Jackson. Seit wann war das Klima zwischen ihnen so rau? Hatte Richard Moat das Essen bezahlt? Es gibt nichts umsonst, außer für die größten Fische.
    »Und wie geht es dir, Julia?«, sagte Julia. »Wie lief die Generalprobe?«
    »Entschuldige«, sagte Jackson. »Wie lief die Probe?«
    »Ich will nicht darüber reden.«
     
    »Noch eine Generalprobe? Heute Abend?«, sagte Jackson.
    »Gott weiß, dass wir eine brauchen«, sagte Julia, zog heftig an einer Zigarette und hatte dann einen ebenso heftigen Hustenanfall.
    Sie standen jetzt auf der Straße. Vor vierundzwanzig Stunden war Jackson an dieser Stelle Zeuge geworden, wie Honda-Mann versucht hatte, den Peugeot-Fahrer umzubringen.
    »Das habe ich dir heute Morgen schon gesagt«, sagte Julia, nachdem sich ihre vernarbten Lungen von dem Hustenanfall erholt hatten.
    »Ich habe dich heute Morgen überhaupt nicht gesehen«, sagte Jackson.
    »Du hast mir nicht zugehört«, sagte Julia. Was für eine merkwürdig ehefrauliche Aussage.
    »Ich habe dir nicht
zugehört
«, sagte Jackson, »weil ich dich nicht
gesehen
habe. Ich war im Gefängnis.«
    »Aber du kommst doch zu der Generalprobe? Du hast doch keine anderen Pläne?«
    Er seufzte. »Nein, ich habe keine anderen Pläne. Und jetzt? Wir könnten was trinken. Nachmittagstee?« Auf dieses Wort musste sie reagieren.
    »Es ist viel zu spät für Nachmittagstee«, sagte Julia mürrisch. Ihr linkes Augenlid zuckte, und sie zog wieder lange und verzweifelt an der Zigarette. »Und Tobias wird uns Hinweise geben.«
    »Ihr kriegt doch ständig Hinweise«, murrte Jackson.
    »Na, Gott sei Dank«, fuhr Julia ihn an, »weil wir jede Hilfe brauchen, die wir kriegen können.« Sie trat die Zigarette mit der Schuhsohle aus. Sie trug schwarze Schnürstiefel mit hohen Absätzen, die bei Jackson unzüchtige Gedanken über viktorianische Gouvernanten aufkommen ließen.
    »Tut mir leid«, sagte sie, war plötzlich zerknirscht und lehnte sich an ihn. Er spürte, wie ihr Körper zusammensackte, als wären die Fäden durchtrennt worden, und er stützte das Kinn auf ihren Kopf. Wegen der Stiefel war sie größer als gewöhnlich. Beide ließen die Arme hängen, lehnten aneinander wie zwei labile Personen, die versuchten, sich gegenseitig aufrecht zu halten. Er roch ihr Parfum, etwas Würziges wie Zimt, das er nicht an ihr kannte. Zum ersten Mal fiel ihm auf, dass ihre Ohrringe winzige Stiefmütterchen aus Porzellan waren. Er glaubte nicht, sie schon einmal gesehen zu haben. Ihr Haar war wirr wie üblich, man konnte sich wirklich vorstellen, dass Vögel darin nisteten. Er wäre nicht überrascht gewesen, wenn eines Abends eine Schar Saatkrähen darauf gelandet wäre, um zu schlafen. (»Wäre das nicht toll?«, sagte Julia.) Ein Essstäbchen hielt den ganzen Aufbau in einem Sieg der Kreativität über die Physik an Ort und Stelle und stach ihm fast ein Auge aus.
    An der Mauer hinter ihnen hing ein Plakat für
Auf der Suche nach dem Äquator in Grönland
. Darauf abgebildet war Julia, die dem Publikum die Arme entgegenstreckte auf eine Weise, die laut Julia flehend sein sollte, aber Jackson fand sie schrullig. Die Gesichter der anderen Schauspieler waren pyramidenförmig um sie angeordnet, und Jackson fühlte sich, leider, an Queen in dem Video
Bohemian Rhapsody
erinnert. Daneben

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