Liebesdienste / Roman
»Nur in meinem Zimmer natürlich. Ich möchte nicht, dass Sie meinen schmutzigen karzinogenen Rauch einatmen.« Aber jeden Morgen, wenn Martin herunterkam, fand er im Wohnzimmer ein kleines Häufchen Kippen auf einer Untertasse oder einem Teller (einmal in einer Terrine) des Wedgwood-Service, das Martin bei seinem Einzug gekauft hatte.
Richard kam spät nach Hause und tauchte erst gegen Mittag aus seinem Zimmer auf, wofür man dankbar sein musste. Wenn er auf war, telefonierte er. Er hatte ein neues Videotelefon, das Martin höflich bewunderte (»Ja, das ist ein sexy Teil, nicht wahr?«, sagte Richard), obwohl er es blöd und unelegant fand und es ihn an den
Raumschiff-Enterprise
-Kommunikator erinnerte.
Richard hatte die Erkennungsmelodie von
Robin Hood,
der alten Fernsehserie aus den fünfziger Jahren, als Klingelton heruntergeladen, und das blöde, blecherne Geräusch trieb Martin langsam in den Wahnsinn. Als Gegenmaßnahme hatte sich Martin vor kurzem für »Vogelgezwitscher« entschieden und war angenehm überrascht, wie echt die Vögel klangen.
Er schaute sich im Wartezimmer um, entdeckte an der Wand eine Uhr, die halb zwei anzeigte. Es fühlte sich wesentlich später an, der Tag hatte seine Fasson verloren, war unter dem Gewicht der unerwarteten Realität aus den Fugen geraten.
Martin hatte eine gehässige Kritik von Richard Moats Show im
Scotsman
gelesen. Unter anderem stand da: »Richard Moats Humor knarzt heutzutage vor Banalität. Er wärmt das gleiche alte abgenutzte Material auf, das er schon vor zehn Jahren verwendet hat. Die Welt hat sich weiterbewegt, Richard Moat nicht.« Allein die Lektüre war Martin peinlich. Richard gegenüber wagte er nicht zu erwähnen, dass er den Verriss gelesen hatte, denn dann hätten sie sich beide diesem Schrecken stellen müssen, und Martin selbst war oft genug schlecht besprochen worden, um die abgründigen Gefühle zu kennen, die es hervorrief.
»Ich lese nie Kritiken«, sagte Richard von sich aus verdrossen nach dem Premierenabend. Martin glaubte ihm nicht. Alle lasen ihre Kritiken. Es war schon ein paar Jahre her, dass Richard zuletzt »das Festival gemacht« hatte, und welche Gefühle auch immer er für Edinburgh empfunden haben mochte (zu Beginn seiner Karriere war er hier höchst erfolgreich gewesen), jetzt empfand er überwiegend Ablehnung für die Stadt. »Weißt du, es ist eine großartige Stadt«, sagte er zu einem von den »Leuten aus London« während ihrer fleischfressenden Raserei in dem beängstigend vollen indischen Restaurant, »phantastisch zum Anschauen und so, aber keine
Libido
. Und daran ist natürlich Knox schuld.« Martin ertrug nicht, mit welch lässiger Vertrautheit Richard »Knox« sagte. Am liebsten hätte er eingeworfen, John Knox mag ein sturer, verklemmter, puritanischer Idiot gewesen sein, aber er war
unser
sturer, verklemmter, puritanischer Idiot, nicht eurer.
»Genau!«, rief einer von ihnen. Er hatte eine Brille mit schmalen Gläsern in einer breiten schwarzen Fassung auf der Nase und rauchte noch mehr als Richard. Martin, seit dem achten Lebensjahr Brillenträger, trug eine randlose, federleichte Brille in dem Versuch, seine Fehlsichtigkeit zu kaschieren, statt einen Charakterzug daraus zu machen. »Keine Libido – sehr gut, Richard.« Der Mann mit der schwarzen Brille stieß die Zigarette in die Luft, um seine Zustimmung zu betonen. »Das trifft Edinburgh
genau
.
«
Martin wollte seine Heimatstadt verteidigen, aber er wusste nicht so recht, wie. Es stimmte, Edinburgh mangelte es an Libido, aber warum sollte man in einer Stadt mit Libido leben wollen?
»Barcelona!«, rief ein anderer von Richards Freunden über den Tisch (sie waren laut und ziemlich betrunken), und der Mann mit der altmodischen, aber trendigen Brille bellte: »Rio de Janeiro!« Es wurden mehr Städtenamen geschrien (»Marseille!«, »New York!«), bis sie zu »Amsterdam!« kamen und ein Streit ausbrach, ob Amsterdam über Libido verfügte oder »nur der Ort für die ausbeuterischen, kommerziellen Transaktionen der Libido anderer Leute« war.
»Sex und Kapitalismus«, mischte sich Richard gelangweilt ein, »wo ist der Unterschied?«
Martin wartete auf die Pointe, aber vergeblich. Persönlich glaubte er, dass es einen großen Unterschied gab, aber dann fiel ihm ein, wie er sich vor Irina in diesem schrecklichen Hotelzimmer mit Blick auf die Newa und den Kakerlaken auf den Fußleisten ausgezogen hatte. »Gut gepolstert. Gemacht für Behaglichkeit, nicht
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