Liebesdienste / Roman
jedoch keine Anstalten zu sterben. Christopher, der mit seinem Gehalt nicht auskam, jammerte oft, dass sie ihn überleben und er nie die Hälfte des Hauses in Eastbourne erben würde, die sein Konto so dringend brauchte.
Martin hatte seine Mutter besucht, kurz nachdem er es zum ersten Mal in die Bestsellerlisten geschafft hatte. Er zeigte ihr die Liste der fünfzig bestverkauften Bücher im
Bookseller
und erklärte: »Alex Blake – das bin ich, mein Pseudonym.« Er lachte, und sie seufzte, »Oh,
Martin«,
als hätte er sich etwas besonders Ärgerliches zuschulden kommen lassen. Als er das Haus in Merchiston kaufte, wusste er vielleicht nicht, was aus einem Haus ein Zuhause machte, aber er wusste, was es verhinderte.
Christopher war nur einmal in Martins Haus gewesen, kurz nachdem er es gekauft hatte – ein schwieriger Besuch, der noch schwieriger wurde dank Sheena, einer Frau wie eine Hyäne.
»Wozu brauchst du eigentlich ein so großes Haus, Martin?«, fragte Christopher. »Du bist doch allein.«
»Vielleicht heirate ich und kriege Kinder«, sagte Martin kleinlaut, und Sheena kreischte: »Du?«
Oben im Haus, mit Blick auf den Garten, befand sich ein kleines Zimmer, das Martin zu seinem Arbeitszimmer auserkor. Er hatte das Gefühl, in diesem Raum etwas Starkes und Gehaltvolles schreiben zu können, nicht die abgedroschene und formelhafte Nina Riley, sondern einen Text, in dem jede Seite von der kreativen Dialektik von Leidenschaft und Vernunft zeugte, etwas von lebensverändernder Kunstfertigkeit. Enttäuschenderweise passierte nicht nur das nicht, sondern das ganze Leben, das er in dem Haus gespürt hatte, bevor er es kaufte, verschwand spurlos. Wenn Martin jetzt durch die Haustür trat, hatte er oft das Gefühl, als hätte hier noch nie jemand gelebt, nicht einmal er selbst. Nirgends fanden sich Anzeichen für lustige Streiche. »Lustig« war ein Wort, das Martin besonders mochte. Er hatte immer gedacht, dass er, sollte er einmal Kinder haben, ihnen heitere Namen wie Sonny und Merry geben würde. Namen machen Leute. Auch religiös motivierte Namen hatten etwas für sich – Patience, Grace, Chastity, Faith. Besser nach einer Tugend benannt zu sein, als nichtssagend Martin zu heißen. Jackson Brodie, das war ein guter Name. Der Mann war von den Ereignissen nicht erschüttert worden
(Ich war früher bei der Polizei),
während Martin vor Aufregung schlecht geworden war. Nicht die angenehme Art Aufregung, nicht die Lustige-Streiche-Art, sondern die Art eines
Zwischenfalls
.
Während des Studiums war er kurzzeitig mit einem Mädchen namens Storm zusammen gewesen (denn er hatte wirklich Freundinnen gehabt, auch wenn es die meisten nicht glaubten). Es war eine Erfahrung gewesen – mehr eine Erfahrung als eine Beziehung –, die ihn davon überzeugt hatte, dass die Menschen ihren Namen alle Ehre machten. Martin war als Name ziemlich langweilig, aber »Alex Blake« hatte etwas Forsches. Seine Verleger fanden Martins richtigen Namen nicht »flott« genug. Für das Pseudonym »Alex Blake« entschied man sich nach reiflicher Überlegung, an der Martin überwiegend nicht beteiligt war. »Ein starker, geradliniger Name«, sagte seine Lektorin. »Zum Ausgleich.« Wofür, sagte sie nicht.
Aus Versehen stieß er mit dem Fuß gegen Paul Bradleys Reisetasche und spürte etwas Hartes, Unnachgiebiges, wo er mit weicher Kleidung gerechnet hatte. Er fragte sich, was ein Mann wie er – der sogar verletzt bewundernswert kompetent war – mit sich trug. Woher kam er? Wohin wollte er? Paul Bradley wirkte nicht wie jemand, der wegen des Festivals gekommen war, er wirkte wie jemand, der zielbewusster war.
Martin blickte auf seinen Arm und erinnerte sich, dass er seine Uhr am Morgen nicht gefunden hatte. Er vermutete, dass Richard Moat sie sich »geliehen« hatte. Er lieh sich die ganze Zeit Dinge, als hätte er ein Anrecht auf Martins gesamte Besitztümer, nur weil er in seinem Haus wohnte. Martins Bücher, Hemden, iPod
(Du hörst ziemliche Scheiße, Martin),
alles hatte sich sein Hausgast zu irgendeinem Zeitpunkt bereits angeeignet. Er hatte sogar den Ersatzschlüssel von Martins Wagen gefunden und schien zu glauben, dass er damit fahren konnte, wann immer er wollte.
Die Uhr war eine Rolex Yacht-Master, die Martin sich geleistet hatte, um den Verkauf seines ersten Buches an einen Verlag zu feiern, eine Extravaganz, deretwegen er sich schuldig gefühlt hatte, und um sein Gewissen zu beruhigen, spendete er den gleichen
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