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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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war ein Monster von Gebäude, von unten gesehen märchenhaft schottisch, aber kaum befand man sich innerhalb ihrer finsteren Mauern, war es feucht und unheilvoll. (Dieses Stück Edinburgh hätte seinem Vater vielleicht gefallen.) Die Burg wirkte nicht wie ein Werk der Baukunst, sondern wie etwas organisch Gewachsenes, der behauene Stein war mit dem rauen schwarzen Basalt des Felsens und seiner eigenen blutigen Geschichte verschmolzen. Jackson kaufte einen Führer, nahm jedoch kein Audiogerät, er hasste diese Dinger, die monotone Stimme irgendeiner Frau (es war immer eine Frau), die vorverdaute Stücke Information ausspie. Wie die Stimme seines GPS (»Jane«). Er hatte es bei seinem GPS mit anderen Stimmen versucht, aber vergeblich: Die französische war zu sexy, die amerikanische zu amerikanisch, und selbst wenn er die Sprache verstünde, glaubte er nicht, dass er einer italienischen Stimme vertrauen könnte, die ihm den Weg wies, deswegen kehrte er immer wieder zu den leise insistierenden Tönen von Jane zurück, einer Frau, die glaubte, immer recht zu haben. Es war, als säße er mit seiner Frau im Wagen. Mit seiner Exfrau.
    Er hatte Julias Fotoapparat dabei und machte ein paar Aufnahmen von der Brustwehr. Julia fotografierte nie die Aussicht, sie war der Ansicht, dass Bilder ohne Leute belanglos waren, und so bat er eine Gruppe Japaner, ihn neben der Ein-Uhr-Kanone aufzunehmen. Die Japaner schienen das wahnsinnig komisch zu finden und bestanden darauf, neben ihm zu posieren, bevor sie wie ein Schwarm Fische ihrem Führer hinterhereilten.
    Julia grinste immer in die Kamera, als wäre es der glücklichste Tag ihres Lebens. Manche Leute hatten’s eben, andere nicht. Jackson hingegen neigte zur Verdrossenheit. Vielleicht nicht nur auf Fotos. Julia hatte einmal zu ihm gesagt, dass er eine »etwas bedrohliche Haltung« habe, eine Wahrnehmung seiner Person, die er beunruhigend fand. Für das Foto mit den Japanern versuchte er es mit einer etwas gütigeren Aura. Einen Augenblick beneidete Jackson sie. Es konnte angenehm sein, zu einer Gruppe zu gehören. Die meisten Leute hielten ihn für einen Einzelgänger, aber er hatte den Verdacht, dass er sich in Institutionen stets am wohlsten gefühlt hatte, bei der Armee und dann bei der Polizei. Jacksons Ansicht nach wurde das Individuum überschätzt.
    Er fand einen Tisch vor dem Café, trank eine Tasse Tee und aß einen Kuchen, Zitrone-Mohn. Die Mohnsamen im Kuchen sahen aus wie Insekteneier, und er ließ den größten Teil stehen. Julia war der Ansicht, dass kein Ausflug etwas taugte, wenn er nicht mit Tee und Kuchen endete. Er kannte Julias Ansichten. Er hätte in einer dieser
Mann-und-Frau
-Quizsendungen teilnehmen und alle Fragen über ihre Vorlieben und Abneigungen beantworten können. Er fragte sich, ob das Gleiche auch für sie galt. Er wusste es wirklich nicht.
    Ein aufgeregtes Raunen ging dem Abfeuern der Ein-Uhr-Kanone voraus. Angeblich waren die Bürger von Edinburgh zu geizig gewesen, um für zwölf mittägliche Kanonenschläge zu zahlen, und hatten sich mit einem Schuss um ein Uhr begnügt. Jackson fragte sich, ob das stimmte. Waren die Schotten wirklich geizig? Er war selbst ein halber Schotte (obwohl er sich nicht so fühlte) und meinte, stets großzügig mit Geld umgegangen zu sein, auch als er noch keines gehabt hatte. Jetzt, da er Geld hatte, versuchte er, es nah und fern zu verteilen – Diamantohrringe für Julia, eine Kuhherde für ein Dorf irgendwo in Afrika. Heutzutage konnte man im Internet Wohltätigkeit so mühelos einkaufen wie in den Cyberregalen von Tesco.com, Ziegen und Hühner in den »Warenkorb« legen, als wären es Pakete mit Zucker und Dosen mit Bohnen.
    Seitdem er das Geld geerbt hatte, suchte Jackson nach Wegen, sein Gewissen davon zu entlasten – das war der Puritaner in ihm, die leise Stimme, die sagte, wenn du nicht dafür gelitten hast, dann hast du es dir nicht verdient. An Julia bewunderte er, dass sie durch und durch Hedonistin war. Es war ja nicht so, als hätte Julia im Leben nicht gelitten, das hatte sie, mehr als Jackson. Beide hatten sie eine Schwester gehabt, die ermordet worden war, beide waren sie mutterlos aufgewachsen, Jacksons älterer Bruder und Julias ältere Schwester hatten sich beide umgebracht. Unglück über Unglück. Dinge, über die man nicht gern sprach, weil es normalerweise keine gute Idee ist, vor anderen so viel Nichtwiedergutzumachendes zu enthüllen. Und das war das Gute an Julia: Ihr

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