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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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aus dem Gedicht von Binyon,
Wenn die Sonne untergeht und am Morgen/gedenken wir ihrer,
auf dem Women’s Services Memorial konnte ihn wie gewöhnlich rühren; etwas ganz anderes bewegte ihn – ein kleines Relief, das auf Kniehöhe in den Stein gemeißelt war und einen Käfig mit Kanarienvögeln und eine kleine Schar Mäuse darstellte. »The Tunnellers’ Friends«, die Freunde der Bergarbeiter, besagte die Inschrift. Er blinzelte die Tränen zurück, hustete und räusperte sich männlich, um seine Rührung zu verbergen. Julia wäre daneben auf die Knie gesunken und hätte den Stein gestreichelt, als wäre er ein Tier. Wahrscheinlich hätte sie ihn geküsst. Er könnte mit ihr nach der Premiere ihres Stücks wiederkommen. Es würde ihr gefallen.
    Draußen ging er auf die andere Seite des Hofs und machte eine Aufnahme, aber er wusste bereits, dass es einfach nur wie ein Gebäude aussehen würde, wenn er es Julia zeigte.
    Die Kamera hatte er letztes Weihnachten Julia geschenkt, eine nette handliche Digitalkamera von Canon, die ihm gefallen hatte. Die Fotos von Venedig befanden sich noch auf dem Chip, und während er im Café der Burg Tee trank, schaute er sich noch einmal die kleinen Farbbilder an, die wie Miniaturgemälde wirkten. Die ganze Woche war der Frühlingshimmel strahlend blau gewesen, so dass die Bilder auf dem Display wie Hintergründe von Canaletto wirkten, vor denen Julia oder Jackson posierten. Es gab nur zwei Fotos, auf denen sie beide zu sehen waren, eins auf der Rialtobrücke, aufgenommen von einem hilfsbereiten deutschen Touristen, und ein zweites, aufgenommen mit dem Selbstauslöser – beide saßen auf dem Bett im Cipriani und stießen mit Champagner an. Sie hatten das Foto gemacht, kurz bevor sie zu der Gondelfahrt aufbrachen.
    Julia war sehr fotogen, ihr Lippenstiftmund strahlte auf jedem Bild. Sie hatte ein großartiges Lächeln. Jackson seufzte, zahlte die Rechnung für den Tee und den Kuchen, legte ein großes Trinkgeld auf den Tisch und verließ die Burg.
     
    Menschenmassen wälzten sich die Royal Mile hinunter wie die Lava, die einst die Landschaft aus dem Feuer erschaffen hatte, wichen Hindernissen aus – der Statue von David Hume, einem Pantomimen, einem Dudelsackpfeifer, mehreren studentischen Theatergruppen, Leuten, die (jede Menge) Flugblätter verteilten, einem weiteren Dudelsackpfeifer, einem Feuerschlucker, einem Jongleur, der mit Feuer jonglierte, einer Frau, gekleidet wie Maria, Königin der Schotten, einem Mann, gekleidet wie Sherlock Holmes. Noch einem Dudelsackpfeifer. Es war definitiv eine Stadt
en fête
. Ein merkwürdiger Gedanke, dass irgendwo – weit weg in einem fremden Land, von dem die Leute nichts wussten – Krieg geführt wurde. Aber andererseits wurde immer irgendwo Krieg geführt. Krieg war die
condition humaine
. Der Krieg hatte Jackson seinerzeit ernährt, gekleidet und bezahlt, also sollte er sich vielleicht nicht beklagen. (Aber irgendjemand sollte es tun.)
    Er ging zum Holyrood Palace, kaufte sich eine Tüte Pommes und ging die Royal Mile wieder hinauf. Ein weiterer Tag, an dem nichts passiert ist, dachte er. Das war gut, ermahnte er sich – wie lautete der chinesische Fluch?
Mögest du in interessanten Zeiten leben
. Ein
wenig
interessanter wäre also nicht zu viel verlangt. Er erinnerte sich an Honda-Mann und den Peugeot-Fahrer, für sie war es ein interessanter Tag gewesen. Er hatte Gewissensbisse, weil er sich nicht wie ein engagierter Bürger verhalten und das Autokennzeichen von Honda-Mann gemeldet hatte. Er wusste es noch, er hatte ein gutes Gedächtnis für Zahlen, obwohl er mit Mathe nichts anfangen konnte – eine der vielen verblüffenden Anomalien des Gehirns.
    Er musste aussehen, als gehörte er hierher, denn jemand, ein Schwede oder Norweger, fragte ihn nach dem Weg, und Jackson sagte: »Tut mir leid, ich bin auch ein Fremder.« Man sagte das anders, oder?
Fremder
 –
Ich bin fremd hier,
war der korrekte Ausdruck. Ein »Fremder« zu sein implizierte Außenseiter, Bedrohung. »Ein Tourist«, fügte er zur Klärung hinzu. »Ich bin auch Tourist.«

8
    G loria öffnete die Haustür und stand zwei weiteren Polizistinnen gegenüber. Sie sahen den beiden von vorhin sehr ähnlich, als wären sie alle aus demselben Nest geschlüpft.
    »Mrs. Hatter?«, sagte eine. Ihre Miene ließ auf schlechte Nachrichten schließen. »Mrs. Gloria Hatter?«
     
    Graham war nicht, wie Gloria gedacht hatte, bei einem Krisentreffen mit seinen Buchhaltern am

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