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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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gedacht, aber kaum hatte sie es erwähnt – in genau dem Tonfall, in dem sie ihre Angst bezüglich des singenden Gondoliere zum Ausdruck gebracht hatte –, war er sauer auf sie. Warum sollte er ihr keinen Heiratsantrag machen, wäre das so schrecklich? Er wusste, dass es nicht die richtigen Umstände waren (Venedig, Geburtstag, Gondel etc.), um einen Streit vom Zaun zu brechen, aber er konnte sich nicht bremsen. »Du würdest also ablehnen, wenn ich dich fragen würde?«, sagte er unsicher.
    »Ist das ein Antrag, Jackson?«
    »Nein. Ich will nur wissen, ob du Nein sagen würdest, wenn ich dich fragen würde.«
    »Ja, natürlich würde ich das.« Sie waren in einen Stau geraten, schoben sich an einer großen Gondel mit einer Ladung Amerikaner vorbei. »Sei doch vernünftig, Jackson, wir sind beide nicht der Typ, der heiratet.«
    »
Ich
schon«, sagte Jackson. »Und du warst nie verheiratet, woher willst du es also wissen?«
    »Das ist ein Scheinargument.« Julia wandte ihr Gesicht ab und blickte übertrieben aufmerksam zu den Fenstern irgendeines Palazzos hinauf. Die Gondel schaukelte auf dem Wasser, als der Gondoliere sie endlich an den Amerikanern vorbeimanövrierte.
    »Wie siehst du eigentlich unsere Beziehung?«, beharrte er. Er wusste, er sollte es nicht. »Sehen wir uns nur hin und wieder, wann immer dir danach ist, vögeln uns zu Tode, und nach ein paar Jahren hast du es satt, und dann ist es aus? Siehst du es so? Herrgott, Julia«, sagte er sarkastisch, »du warst noch nie so lange mit jemandem zusammen. Was war dein bisheriger Rekord – eine Woche?«
    »Mann, du hast wirklich darüber nachgedacht, stimmt’s, Jackson?«
    »Natürlich habe ich darüber nachgedacht. Du etwa nicht?«
    »Offenbar nicht bis in so grässliche Einzelheiten«, sagte Julia nachsichtig. »Glaubst du wirklich, Schatz, dass wir verhindern könnten, uns miteinander zu langweilen, wenn wir verheiratet wären?«
    »Nein, aber darum geht es nicht.«
    »Doch, darum geht es. Hör auf, Jackson, sei nicht so ein Brummbär, du verdirbst uns den schönen Abend.«
    Aber der Abend war bereits verdorben.
    Er war nicht sicher, ob er Julia wirklich heiraten wollte, aber ihre absolut negative Einstellung in dieser Frage fand er beunruhigend. Er konnte das Thema nicht wieder ansprechen, ohne einen Riesenstreit heraufzubeschwören, und diese Tatsache nagte erstaunlich heftig an ihm.
    Die Ein-Uhr-Kanone dröhnte über die Stadt hinweg, und die Touristen zuckten pflichtbewusst zusammen und lachten. Es schien mehr mit Theater zu tun zu haben als mit der Angabe der Uhrzeit, eine Show für die Japsen und die Amis. Nicht zu vergleichen mit wirklichem Geschützfeuer. Richtiges Geschützfeuer grollte und krachte geheimnisvoll in der Ferne oder explodierte so laut neben einem, dass einem die Trommelfelle platzten.
    In der Burg schaute er sich das Scottish National War Memorial an. Er war überrascht, wie schön es innen war – Arts-and-Crafts-Stil, das wusste er von Julia. Die Namen der Toten, so vieler Toter, waren in dicken roten Büchern notiert. Drei Großonkel von ihm (drei Brüder, Gott stehe ihrer Mutter bei) waren irgendwo in diesen Listen aufgeführt, aber er suchte nicht nach ihnen. Überall auf der Welt hatten Schotten geholfen, das Britische Empire zu errichten, und waren dafür gestorben. Sein Vater hatte im Zweiten Weltkrieg nicht gekämpft, weil die Arbeit in den Kohlebergwerken vorging. »Als wäre es eine gemütliche Alternative gewesen«, höhnte sein Vater, »doppelte Schichten in den Eingeweiden der Erde zu arbeiten.« Als Jackson mit sechzehn von der Schule abging, wollte auch er in die Grube, aber sein Vater sagte, dass er nicht sein ganzes Leben »in diesem dreckigen Höllenloch« geschuftet habe, nur damit sein Sohn es ihm nachtat. Jackson ging also zur Armee, zu einem Yorkshire-Regiment, weil Yorkshire sein Zuhause war, nicht dieser Ort aus grauem Stein und heftigem Wind. Francis, sein Bruder, hatte als Schweißer bei der Bergbaugesellschaft gearbeitet, und sein Vater hatte nicht versucht, ihn aufzuhalten. Aber Francis war schon tot, als Jackson sechzehn wurde, und Jackson war das einzige Kind, das seinem Vater geblieben war, und er vermutete, dass er dadurch irgendwie kostbarer geworden war, nicht dass der alte Mann es je gezeigt hätte.
    Die Reihen der Toten (der Tod war so weit verbreitet), die Gedenktafeln für die Gefallenen, für die Frauen, für die Matrosen der Handelsmarine ließen ihn relativ kalt. Nicht einmal die Zeile

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