Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
Vom Netzwerk:
für ein »grauenhafter Schweinefraß« zum Abendessen serviert werden würde. Nicht einmal die Rembrandts brachten ihn zum Verstummen. »Elender alter Kerl, was?«, sagte er mit Blick auf ein Selbstporträt des Malers. Martin wusste, dass es nur eine kurze Verschnaufpause sein würde, kaum hätte der Lebensmittelhändler seine neue Mütze auf dem Kopf, würde er ihn zweifellos zwischen den Souvenirständen aufspüren und sich den Rest des Nachmittags darüber beschweren, dass der Mützenhändler ihn ausgenommen habe – ein dürres Männchen, das aussah, als würde es den Lebensmittelhändler im Rennen durch die Tür in die nächste Welt schlagen.
    Martin wollte eine Matroschka für seine Mutter kaufen. Er wusste, dass sie abgestaubt, aber vernachlässigt in einem Regalfach stehen würde zwischen ihrem anderen billigen Nippes, den »Figürchen« aus Porzellan, den Puppen in Tracht, den kleinen im Kreuzstich gestickten Bildern. Nichts, was er ihr schenkte, freute sie, doch kaufte er ihr nichts, würde sie sich beklagen, dass er nie an sie dachte (ihre Logik war unschlagbar). Wenn jemand Martin einen in Papier gewickelten Stein schenken würde, wäre er dankbar, weil dieser Jemand sich die Mühe gemacht, einen Stein gesucht und in Papier gewickelt hatte, nur für ihn.
    Er würde ihr etwas Gewöhnliches kaufen, beschloss er, weil sie nichts Besseres verdiente – eine kleine Bauernpuppe mit Schürze und Kopftuch, er hielt eine in der Hand, spürte ihre Glätte, ihre Form, die an ein Fruchtbarkeitssymbol erinnerte, und dachte an seine Mutter, als das Mädchen hinter dem Stand sagte: »Ist sehr hübsch.«
    »Ja«, sagte er. Er fand sie überhaupt nicht hübsch. Er versuchte, die junge Frau nicht anzusehen, weil sie so hübsch war. Sie trug fingerlose Wollhandschuhe und ein Tuch über dem blonden Haar. Sie trat hinter dem Stand hervor und begann unterschiedliche Puppen in die Hand zu nehmen, sie zu öffnen, sie wie Eier aufzuschlagen, sie nebeneinander hinzustellen. »Diese auch schön, diese auch. Diese Puppe besonders, sehr guter Maler. Szenen aus Puschkin. Puschkin berühmter russischer Schriftsteller. Sie kennen?« Es war die sanfte Verkaufstaktik, und es wäre unhöflich gewesen, Widerstand zu leisten. Nach eingehenderer Überlegung, als die Aufgabe oder die Puppen verdienten, kaufte er einen teuren fünfzehnteiligen Satz. Sie waren hübsch, ihre dicken Bäuche mit »Winterszenen« von Puschkin bemalt. Richtige Kunstwerke, zu gut für seine Mutter, und er beschloss, sie selbst zu behalten. »Sehr schön«, sagte er zu dem Mädchen. »Keine Dollar?«, fragte sie traurig, als er ihr mehrere Handvoll Rubel gab.
    Sie trug bis zu den Knöcheln reichende Stiefel mit hohem Absatz und einen altmodischen, strapazierfähigen Mantel. In St. Petersburg trugen die jungen Frauen alle hochhackige Stiefel, bahnten sich geschickt einen Weg durch den eisigen Matsch, während Martin ausrutschte und taumelte wie ein Slapstickkomiker.
    »Möchten Sie Kaffee?«, fragte sie überraschend, und die Frage bestürzte ihn. Er glaubte, sie würde von irgendwo eine Thermosflasche holen, aber sie rief dem Mann, der am Stand nebenan alte Insignien der Roten Armee verkaufte, etwas Harsches zu, und er rief etwas ebenso Harsches zurück, und dann nahm sie ihre Handtasche und marschierte los, schwang die Tasche und winkte Martin, als wäre er ein Kind.
    Sie tranken keinen Kaffee. Sie aßen einen Teller Borschtsch, gefolgt von einem Vanillegebäck mit heißer Schokolade, die dick und süß war und in großen Bechern serviert wurde. Sie bestellte und ließ ihn nicht zahlen, deutete auf die dünne Plastiktüte mit seinen in Zeitungspapier gewickelten und jetzt ineinander geschachtelten Puppen, und er fragte sich, ob das seine Belohnung dafür war, dass er viel zu viel gezahlt hatte. Vielleicht wurden in Russland so Geschäfte gemacht, vielleicht gab man jemandem genug Geld, dass er eine Woche davon leben konnte, und dann gingen sie mit einem in warme dampfende Cafés und bliesen einem ihren Zigarettenrauch ins Gesicht. Im Urlaub auf Kreta (»Entdecken Sie die antiken Wunder von …«) musste er feststellen, dass jedes Mal, wenn er in einem Geschäft etwas kaufte, der Verkäufer darauf bestand, ihm etwas zu schenken, als wollte er die harten Kanten des Kapitalismus abschleifen. Dieses Geschenk bestand für gewöhnlich in einem gehäkelten Deckchen, so dass Martin einen ganzen Stapel davon in seinem Koffer hatte, als er nach Hause zurückkehrte. Er

Weitere Kostenlose Bücher