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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Haus vor Lärm, auch wenn er nur im Bett lag und ruhig schlief. Ohne ihn nahm der Tag ein eigenes stilles Muster an, weiche Farben und Lichtstreifen, die Gloria sonst nie bemerkt hatte.
    Zwischen ihren nackten Zehen spürte sie den lammfellartigen Flor des hafermehlfarbenen Berbers auf der Treppe und unter ihrer Hand das glatte Gleiten des Geländers aus roter Oregonkiefer. Sie verschwendete einen Gedanken an die ungefähr hundertfünfzig Jahre des Polierens, die diesen Satin geschaffen hatten, auch sie hatte poliert, nicht mit Mr. Sheen, sondern mit einem harten Stück Bienenwachs. Gloria hatte sich beigebracht, die kleinen Freuden zu schätzen, von denen es viele gab in diesem Haus, das noch stehen würde, lange nachdem sie selbst unter der Erde läge.
    Jeder Tag ist ein Geschenk, sagte sie sich, deswegen hieß es auch Präsens. Sie würden dieses Haus verlieren. Es würde hineingezogen in das ganze bedauerliche Chaos, das Graham heraufbeschworen hatte, und unter den Hammer kommen (sie hatte sich online kundig gemacht), und der Erlös würde einbehalten als ein Teil der Wiedergutmachung für all das, was Graham sich im Lauf der Jahre hatte zuschulden kommen lassen. Er hatte ein Kartenhaus erschaffen, eine Illusion. Sein Tod oder das Betrugsdezernat, was immer zuerst käme, würde alles an den Tag bringen, die Vorhänge aufziehen und die Fensterläden öffnen und das Licht bis in jede schmutzige Ecke lassen.
    Gloria öffnete die Terrassentür im Wohnzimmer, stand ein paar Minuten lang da und atmete tief die Morgenluft ein. Ein Spatz hüpfte graziös auf dem Zaun entlang. Eine Unze braune Federn und schwarzer Schnabel. Schön wäre es, wenn Gott ein Auge auf ihn hätte, andernfalls würden Gloria und den Überwachungskameras sein Sturz nicht entgehen. Eine Elster schwang sich keckernd herab, und Gloria verjagte sie.
    Das Haus in Grange (lange bevor Gloria und Graham es in Besitz nahmen, Providence, Vorsehung, benannt) hatte nichts gemein mit den unsolide gebauten, überteuerten Bruchbuden, die Graham reich gemacht hatten. In den von Graham gebauten Häusern gab es schlecht schließende Schranktüren, Kamine aus Zement, der aussehen sollte wie Stein, und billige Auslegeware. Es waren Häuser, die rochen, als wären sie aus Plastik und Chemikalien. Letztes Jahr hatte Graham davon gesprochen, aus diesem Haus auszuziehen, sie wären »zu reich« dafür und er »habe ein Auge« auf ein herrschaftliches Anwesen im Norden, Hektare von Land, wo er Forellen fischen und ahnunglose Vögel damit überraschen könnte, sie vom Himmel zu schießen. Im Lauf der Jahre war das Grange-Haus um Gloria herum immer behaglicher geworden, und es schien grausam, es zugunsten eines Riesenkastens mitten im Nirgendwo abzustoßen.
    Gloria hatte gesagt, dass sie nicht wüsste, wie man zu reich sein konnte. Wenn man zu reich war, konnte man einen Teil des Geldes weggeben, bis man nur noch reich war. Oder man gab alles weg und war arm. Und sie waren nicht wirklich reich, es war alles Schall und Rauch, ihr Leben gegründet auf schmutzigem Geld.
    Sie ging in die Küche und kochte die erste Kanne Kaffee, atmete das Aroma der Bohnen ein, bevor sie sie in die Mühle schüttete. Die italienischen Marmorfliesen auf dem Küchenboden waren kalt und starr, als würde man über Grabsteine gehen. Sie waren unglaublich teuer, aber Graham hatte sie (natürlich) unglaublich billig bekommen. Letztes Jahr war das Haus von den Qualifizierteren seiner Arbeiter renoviert worden. Unter anderem hatten sie eine Wand eingerissen und eine riesige amerikanische Küche eingebaut. »Für meine Frau ist mir nichts zu teuer«, sagte Graham überschwänglich zu seinem Architekten. »Wie wär’s, Gloria – eine gekühlte Speisekammer, einen Gasherd von Gaggenau mit integrierter Fritteuse?« Und sie sagte, sie hätte gern eine rosa Spüle, weil sie in einer Fernsehsendung über Inneneinrichtung eine gesehen hatte, und Graham sagte: »Eine rosa Spüle? Nur über meine Leiche?« So viel dazu.
    Gloria besuchte gern jede neue Baustelle von Hatter-Häusern. Je weiter draußen sie war, umso mehr hatten die Besuche etwas von einem Ausflug. Sie packte sich ein Picknick ein oder fand heraus, wo das örtliche Café war. Sie sah sich gern das Musterhaus an, hörte dem Verkäufer zu.
(Das ist ein schönes Zimmer, ein richtiges Zimmer für die ganze Familie.)
Graham wusste nichts von diesen Exkursionen.
    Gelegentlich gab sich Gloria als interessierte Käuferin aus – als wildäugige

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