Liebesdienste / Roman
geschiedene oder als vor Kurzem verwitwete Frau, die sich verkleinern wollte auf eine Wohnung ohne Ehemann. Sie sah sich »Familienhäuser« an im Auftrag einer Tochter oder ein »Einsteigerhaus« für einen Sohn, der im Ausland arbeitete. Es war ein harmloses Vergnügen und bot ihr Gelegenheit, Küchenschränke zu öffnen und zu schließen oder in die winzigen Bäder zu spähen, in die gerade eine unterernährte Person passte. Alles war gemäß den Mindestanforderungen gebaut, die Gärten waren so klein wie möglich, die Badezimmer winzig – es war, als hätte eine ausgesprochen
boshafte
Person beschlossen, Häuser zu bauen.
Vor Ostern war sie in die Siedlung in Fife gefahren. Die Bauarbeiter waren endlich fertig, und die letzten Bewohner zogen gerade ein. Aber ein Haus war noch als Musterhaus ausgewiesen, in einem Baucontainer befand sich noch ein Verkaufsbüro, und die Fahne mit der Aufschrift »Hatter-Häuser – Reelle Häuser für reelle Menschen« flatterte noch über ihrem Kopf. Eine echte Billigflagge.
Die Bewohner hier taten ihr besonders leid, weil die Siedlung auf einer ehemaligen Mülldeponie errichtet war, und in den Gärten lagen nur wenige Zentimeter Mutterboden. (»Aber das ist doch bestimmt nicht legal?«, sagte sie zu Graham. »
Caveat emptor,
Gloria«, sagte Graham. » Das einzige Latein, das ich brauche.«)
Maggie Louden war im Verkaufsbüro gewesen und hatte sie beunruhigt angeblickt. »Mrs. Hatter? Kann ich Ihnen helfen?« Ohne Cocktailkleid sah sie anders aus, schlampiger und entschieden weniger festlich.
»Ich schaue mich nur um«, erwiderte Gloria und tat nonchalant. »Ich werfe gern einen Blick auf die Häuser.« Aber der Ausflug war verdorben. Sie hatte beabsichtigt, sich als Geliebte eines reichen Mannes auszugeben, der sie in einem eigenen Haus unterbringen wollte. Die Ironie der Geschichte entging ihr nicht.
Gloria war heimlich nachts zurückgekehrt wie eine Terroristin und hatte vor jede Tür eine hübsche Topfpflanze gestellt. Kein wirklicher Ersatz für einen Garten, aber ein bisschen was.
Gloria fragte sich bisweilen, ob Graham Häuser für Familien baute, weil er mit seiner eigenen unzufrieden war. Sie hatten im Lyceum eine Vorstellung von
Baumeister Solness
gesehen – Hatter-Häuser war so etwas wie ein Sponsor –, und Gloria zog unwillkürlich Vergleiche. Damals hatte sie sich gefragt, ob Graham eines Tages von einer Turmspitze fallen würde, auf metaphorische oder andere Weise. Und so war es gekommen. So viel dazu.
Die Espressokanne zischte und spuckte und erreichte schließlich ihren gewohnt furiosen Höhepunkt. Gloria goss sich Kaffee ein, trug ihn in das pfirsichfarbene Wohnzimmer und setzte sich auf die Couch. Sie aß die Überreste eines Pakets Schokoladenkekse. Wenn Graham da war, aßen sie immer am Küchentisch. Er mochte etwas Warmes – Rühreier, geräucherten Fisch, Speck, Würstchen, sogar Nieren. Während sie frühstückten, hörten sie
Good Morning, Scotland
im Radio, endloses, gesichtsloses Geplapper über Politik und Katastrophen, das Graham wichtig und notwendig fand, aber es hatte keinerlei Einfluss auf ihr Leben. Man hatte mehr davon, einem Paar Blaumeisen dabei zuzusehen, wie sie an Erdnüssen pickten, als über Haferbrei das schottische Parlament zu verfluchen.
Sie stellte den Sender mit Terry Wogan ein. Terry Wogan war eine wirklich gute Sache. Das Telefon klingelte. Seitdem Gloria um fünf aufgewacht war, klingelte das Telefon in regelmäßigen Abständen. Sie hatte bereits im Krankenhaus angerufen, um sich zu vergewissern, dass Grahams Zustand unverändert war, und keinerlei Interesse daran, mit all den Leuten zu sprechen, die wissen wollten, warum Graham mitten an einem Werktag vom Angesicht der Erde verschwunden war und nicht an sein Handy ging. Sie ließ sie mit dem Anrufbeantworter reden, das war weniger anstrengend, als zu lügen.
Während sie im Flur stand und die letzte Nachricht abhörte
(Graham, du alter Mistkerl, wo steckst du, ich dachte, wir wollten heute Golf spielen),
fiel die Morgenzeitung durch den Briefschlitz.
Was für ein Mensch beißt einem jungen Kätzchen den Kopf ab? Was für ein Mensch geht in den Garten eines vollkommen Fremden, nimmt ein drei Wochen altes Kätzchen und
beißt ihm den Kopf ab? Und wird dafür nicht angezeigt!
Gloria ließ die Zeitung angewidert fallen.
Was wäre die angemessene Strafe für einen Menschen (einen Mann natürlich), der einem drei Wochen alten Kätzchen den Kopf abbeißt?
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