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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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Eindeutig der Tod, aber doch kein schneller, schmerzloser? Das wäre ein unverdientes Geschenk. Gloria glaubte, dass die Strafe dem Vergehen entsprechen sollte, Auge um Auge, Zahn um Zahn. Kopf um Kopf. Wie biss man einem Menschen den Kopf ab? Wenn man nicht irgendwie einen Hai oder ein Krokodil dazu bringen konnte, dann, so nahm Gloria an, musste man sich mit einer schlichten Enthauptung zufriedengeben.
    Laut Zeitung war der Mann, der dem Kätzchen den Kopf abgebissen hatte, auf Drogen gewesen. Das war keine Entschuldigung! Gloria hatte während ihrer kurzen Zeit an der Universität einmal einen Joint geraucht (in erster Linie aus Höflichkeit) und seinerzeit ein beträchtliches Quantum Alkohol getrunken, aber sie war überzeugt, dass sie jede Menge illegaler Substanzen hätte konsumieren können, ohne das Bedürfnis zu verspüren, einem unschuldigen Haustier den Kopf abzubeißen. Ein kleiner Korb voller Kätzchen – Gloria stellte sich langhaarige Tabbys mit einem Band um den Hals vor, wie sie auf alten Schokoladenschachteln abgebildet waren. Winzig, hilflos. Unschuldig. Waren auf Schokoladenschachteln noch solche Abbildungen? Sie hatte bei eBay ein wunderschönes Bild gekauft, zwei Kätzchen, Korb, Wollknäuel, Bänder und alles, was dazugehörte, hatte jedoch immer noch nicht den richtigen Platz dafür gefunden. Und natürlich war Graham der Meinung, dass es »kitschig« sei – er selbst kannte sich mehr aus mit Kunst à la Der-Hirsch-der-gleich-getötet-wird.
    Die Leute hatten gegrillt, ein »Familiengrillfest«, und der Mann marschierte unaufgefordert und unangekündigt herein, nahm eins der Kätzchen aus dem Korb und biss ihm den Kopf ab, als wäre es ein Lutscher. Hatte der Mann den Kopf des Kätzchens gegessen? Oder ihn nur abgebissen und ausgespuckt?
    Man könnte den Mann, der dem Kätzchen den Kopf abgebissen hatte, in einen Käfig mit Tigern sperren und sagen: »Na los, mal sehen, ob du denen auch den Kopf abbeißt.« Aber es war falsch, die Tiger in Käfige zu stecken.
    Es gab ein Gedicht von Blake über Tiger, nicht wahr? Oder waren es Rotkehlchen?
     
    Bill, der Gärtner, tat seine Anwesenheit im Schuppen durch gedämpftes Klappern und Klimpern mit dem Gartenwerkzeug kund, als sollte Gloria wissen, dass er zwar da war, aber nicht mit ihr sprechen wollte. Sein Nachname war Tiffany, wie die Juweliere. Graham hatte Gloria zu ihrem dreißigsten Hochzeitstag eine Armbanduhr von Tiffany geschenkt. Das Uhrband war aus rotem Leder, und die Uhr selbst war von kleinen Diamanten eingefasst. Sie hatte sie gestern in den Fischteich geworfen. Alle Fische im Teich bis auf einen – eine große orangefarbene Goldorfe – hatte sich einen nach dem anderen der Reiher des Viertels herausgeholt. Gloria fragte sich, ob die Uhr noch die Zeit anzeigte, im Schlamm und grünen Schleim auf dem Grund des Teiches leise vor sich hin tickte, die letzten Tage des orangefarbenen Fisches und von Graham zählte.
    Gloria setzte noch einmal Kaffee auf, butterte ein Scone und schaltete ihren Computer an. Gloria konnte gut mit Computern umgehen. Sie hatte es gelernt in der Zeit der alten Amstrads mit den schwarz-grünen Bildschirmen und schrecklichen Gewohnheiten. Damals hatte sie bei der Buchführung von Hatter-Häuser mitgeholfen. Schon seinerzeit hatte Graham die Bücher frisiert, allerdings waren die Summen noch relativ gering gewesen. Hatter-Häuser war ein Familienunternehmen geblieben, es gehörte Graham und Gloria. Sie waren nie an die Börse gegangen oder rigoros unter die Lupe genommen worden. Die Wirtschaftsprüfung übernahmen Grahams Steuerberater. Es gab ein Netz aus Komplizenschaft, das weiter reichte, als das Auge sehen konnte, Steuerberater, Anwälte, Sekretärinnen, Verkäufer (Verkäuferin-plus-Geliebte). Gloria hatte jahrelang alles unterschrieben, was ihr vorgelegt wurde, Papiere, Dokumente, Verträge. Sie hatte nie etwas infrage gestellt, und jetzt schien sie nichts anderes mehr zu tun. Unschuld war nicht gleich Unwissenheit.
    Gloria hatte einen eigenen netten kleinen Laptop, angeschlossen an ein Breitbandkabel in der Küche – wo sie schließlich die meiste Zeit verbrachte, warum also nicht? Graham benutzte ihren Computer nie, er wickelte alle seine schmutzigen Geschäfte im Büro ab. Sie konnte sich vorstellen, dass er pornografische Websites lud, auf denen eine Frau in einem Zimmer irgendwo auf der Welt vor einer Webcam für ihn auftrat.
    Die einzigen Mails, die Gloria normalweise bekam – abgesehen von

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