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Liebesdienste / Roman

Liebesdienste / Roman

Titel: Liebesdienste / Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kate Atkinson
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erstaunlich, wie schnell ein Mensch ausradiert wurde. Der Tod triumphierte.
    Sie holte unter der Spüle einen Sack mit Vogelfutter hervor und füllte eine Schüssel. Draußen verstreute sie die Samenkörner auf dem Rasen und fühlte sich einen Augenblick lang, als alle Vögel Edinburghs in ihren Garten einfielen, ein bisschen wie eine Heilige.

23
    L ouise betrachtete leidenschaftslos die Leiche auf der Bahre. Bei Autopsien hielt sie es für das Beste, jedes Gefühl an der Tür zurückzulassen. Dieser Tage gab es im Fernsehen viele Sendungen, in denen Polizei und Gerichtsmediziner davon faselten, eine Leiche sei nicht einfach nur eine Leiche, sondern eine
Persönlichkeit
. Die Pathologen sprachen mit den Toten, als würden sie leben
(Wer hat dir das angetan, Schätzchen?),
als würde sich das Opfer plötzlich aufsetzen und Namen und Adresse des Mörders nennen. Die Toten waren tot, sie waren keine Menschen mehr, sie waren nur noch, was übrig bleibt, wenn die Persönlichkeit für immer verschwunden ist. Die sterblichen Überreste. Sie dachte an ihre eigene Mutter und griff nach den Tic Tacs.
    Das Leichenschauhaus war bevölkert von den üblichen Verdächtigen, einem Fotografen, Technikern, Forensikern, zwei Pathologen – eine Arche Noah voller Autopsiespezialisten. Jim Tucker stand etwas abseits. Louise wusste, dass er das Leichenschauhaus nicht gut verkraftete. Er entdeckte sie und runzelte die Stirn, überrascht, sie hier zu sehen. Louise hielt den Daumen nach unten, er murmelte leise: »Oh, Scheiße.«
    Ackroyd, einer der beiden Pathologen, bemerkte sie und sagte: »Das Beste haben Sie schon versäumt, Magen, Lunge, Leber.« Ackroyd war ein Schwachkopf.
    Der zweite Pathologe stand stumm neben ihm und grüßte sie mit einem kurzen Nicken und einem Lächeln. Sie hatte ihn noch nie zuvor gesehen. Lediglich die Routineautopsien wurden von nur einem Pathologen durchgeführt, zwei waren erforderlich, sobald es um »Nachprüfbarkeit« ging. Einer plus Ersatz. »Neil Sneddon«, sagte er mit einem erneuten Lächeln, als wären sie auf einer Party. Flirtete er mit ihr? Neben einer Leiche? Nett.
    »Sind Sie wegen ihr hier?«, fragte er und schaute auf die Frau auf der Bahre.
    »Nein, ich muss mit Jim sprechen – Jim Tucker.«
    Das tote Mädchen sah ungesund aus, es wirkte eher ungesund als richtig tot. Ackroyd entnahm ihr Herz dem Brustkasten. Eine Assistentin, ein Mädchen namens Heather, wenn sich Louise richtig erinnerte, stand in der Nähe und hielt eine Schale aus Edelstahl hoch wie einen Baseballhandschuh, als würde ihr der Pathologe das Herz gleich zuwerfen. Nachdem er es in die Schale gelegt und nicht geworfen hatte, wog Heather das Herz, als wollte sie einen Kuchen damit backen.
    Louise berührte den fühllosen Handrücken des Mädchens. Warmes Fleisch auf kaltem Fleisch. Die Lebenden und die Toten. Sie sah plötzlich ihre Mutter im Bestattungsinstitut vor sich, ihr Gesicht wie kaltes, geschmolzenes Wachs – die böse Hexe aus dem Westen, aus dem Zauberer von Oz.
    Jim Tucker hob fragend eine Augenbraue, und sie winkte ihn auf die Seite.
    Die Kleider der Toten lagen auf einer Bank und warteten darauf, eingepackt und ins forensische Labor in Howdenhall geschickt zu werden. BH und Unterhose passten nicht zusammen, aber in beiden befand sich ein Etikett von Matalan. Deswegen sollte man zusammenpassende Unterwäsche tragen, erinnerte sich Louise, nicht wegen der unwahrscheinlichen Chance einer sexuellen Begegnung, sondern für Eventualitäten wie diese. Für das Tot-auf-einer-Fischhändlerbahre-Szenario, wenn die ganze Welt sehen konnte, dass man die nicht zusammenpassende Unterwäsche in Billigläden kaufte.
    »Prostituierte, gefunden in einem Eingang in der Coburg Street. Überdosis. War der Sitte bekannt«, sagte Jim Tucker. Er senkte die Stimme. »Was ist passiert?«
    »Crichton hat das Verfahren wegen einer Formsache eingestellt. Ein Zeuge ist nicht erschienen.«
    »Machst du Witze? Er hätte unterbrechen und uns bitten sollen, den Zeugen zu suchen.«
    »Wir gehen in Berufung«, sagte Louise. »Wird schon werden.«
    »Scheiße.«
    »Ich weiß.« Auf der Bank mit den Kleidungsstücken sprang ihr etwas ins Auge – ein kleiner Stapel Visitenkarten in einer Petrischale. »Was ist das?«
    »Haben wir in ihrer Tasche gefunden«, sagte Jim Tucker. »Die Visitenkarten der Dame.«
    Blassrosa, schwarze Schrift.
Hilfe
. Eine Handynummer. Genau wie Jackson Brodie gesagt hatte.
    »Wir dachten an eine Callgirl-Agentur«,

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