Liebesfluch
lauf verdammt noch mal schneller!, sporne ich mich selber an.
Nein, stopp, ich muss sie anrufen, ihr sagen, dass es länger dauert, bis ich kommen kann. Ich ziehe hektisch atmend mein Handy aus der Hosentasche. Ungläubig starre ich auf das zerbrochene Display. Mit zitternden Fingern versuche ich, Blues Nummer zu wählen, und es passiert – nichts.
Verflucht! Ich hätte es in eine Schutzhülle tun sollen, wie alle intelligenten Menschen. Am liebsten würde ich das Handy vor lauter Wut auf mich selbst in den Wald schleudern, aber ich stecke es trotzdem wieder ein und stürme weiter.
Sofort sind meine Gedanken wieder bei Blue. Wie sie hinter den Kindern hergerast ist, mit dem Auto auf diesem fiesen Waldweg – wie eine wild gewordene Göttin. Sie hat alles getan, um die beiden zurückzuholen, sie aus meiner Gewalt zu befreien, ohne auch nur eine Minute an sich selbst zu denken.
Seitenstechen. Nicht anhalten. Ich presse die Faust in die Seite und trabe weiter. Atme ruhiger.
Jetzt kümmere du dich um sie, hilf ihr. Schließlich warst auch du es, der sie in diese Lage gebracht hat. Und Blue hat nun wirklich keine Schuld an dem, was man mir angetan hat.
Aber wir brauchen Hilfe. Anja ist schlau. Und sie ist gefährlich. Das Beste wäre es, wir könnten Stefan überzeugen. Schnell überzeugen. Aber warum sollte er mir jetzt glauben?
Wenn Blue oder den Zwillingen etwas zustößt, dann wäre dies das Ende von allem. Dann hätte ich wirklich gar nichts richtig gemacht und umsonst gelitten wie ein Hund.
22.
Damals kannte man dieses Krankheitsbild noch nicht. Niemand hätte mir geglaubt. Und deshalb musste ich handeln. Ich habe gekündigt und mir in Innsbruck eine neue Stelle gesucht. Als normale Krankenschwester findet man immer etwas.
Anja hört sofort auf, fröhlich zu pfeifen, nachdem sie einen Blick auf die Zwillinge geworfen hat. »Was hast du mit ihnen gemacht?«
»Nichts, wir haben gespielt und ich hab ihnen eine Geschichte erzählt, von dem Mädchen Columba …«
Sie nimmt Bennie auf den Arm, dann Mia und untersucht sie.
Anjas Mundwinkel sinken herab und sie schüttelt den Kopf, als könne sie nicht glauben, was sie da sieht.
Plötzlich wird mir klar, was hier vor sich geht. Sie sucht nach den Symptomen, die ich habe! Mein Hals wird eng. Was wird sie jetzt tun? Ihnen noch etwas verabreichen?
Und tatsächlich sagt Anja: »Sie sehen hungrig aus, Zeit für das Mittagessen.«
Nein, bloß nicht, denke ich panisch und überlege, wie ich sie davon abhalten kann, etwas ins Essen zu mischen, das nicht hineingehört.
»Du musst doch mittlerweile auch sehr hungrig sein – oder hast du noch Bauchweh? Geht es dir wieder besser? Ich hoffe, du hast keine Krämpfe mehr.« Sie lächelt mich an und streicht ihre blonden Strähnen hinter das Ohr. »Ich wollte dir eine Freude machen und hab dir deshalb eine Spezialität aus Pfungstadt mitgebracht. Ich dachte, jemandem, der Bananen im Mörser zerquetscht, könnte so etwas schmecken: Blutwurst.«
Was soll denn jetzt diese fiese Bemerkung? Und warum interessiert sie sich so für meine Bauchschmerzen? Ich kann sehen, dass Anja mich verstohlen aus den Augenwinkeln mustert. Ob sie ahnt, dass ich ihr auf die Schliche gekommen bin? Und plötzlich geht mir ein Licht auf: Die Krämpfe letzte Nacht, die Tabletten, die Anja mir gegeben hatte … In meinem Kopf fügt sich auf einmal ein völlig neues Bild von Anja zusammen und schon wieder bricht mir der Schweiß aus. Doch bevor ich mir Sorgen um mich mache, muss ich verhindern, dass sie den Zwillingen noch weiteren Schaden zufügt.
Während wir mit den Kleinen in die Küche gehen, überlege ich verzweifelt, was ich tun kann. Teller runterwerfen oder den Kindern alles wegessen ist jetzt keine Option mehr.
Doch zu meiner großen Überraschung greift Anja nach zwei fertigen Gläschen mit Nudel-Hühner-Brei, wärmt sie im Wasserbad auf, zieht den Zwillingen in der Zwischenzeit Lätzchen an und redet unablässig mit mir darüber, wie unverschämt diese Klinik heute Morgen am Telefon war und dass sie sich das nicht gefallen lassen wird. Es ginge schließlich um das Leben ihrer Kinder.
Sie stellt immer wieder Fragen an mich, spricht dann aber so schnell weiter, dass ich nicht einmal Luft für eine Antwort holen kann.
Nachdem ich ein Glas kalte Milch getrunken habe, geht es mir etwas besser. Ich schwitze nicht mehr so explosionsartig und mein Herz schlägt wieder regelmäßig. Und schon meldet sich eine Stimme, die mich fragt, ob ich
Weitere Kostenlose Bücher