Liebesfluch
angekommen meine Flipflops aus und spanne alle Muskeln an. Ich möchte fliegen, so leise sein, dass sie mich nicht hören wird. Ich beiße die Zähne zusammen und husche zur Tür.
Obwohl Anja die Tigerentengardinen zugezogen hat und im Kinderzimmer diffuses Licht herrscht, kann ich doch alles gut erkennen. Mia liegt schon in ihrem Bettchen. Bennie befindet sich noch auf dem Wickeltisch, während seine Mutter sich über ihn beugt und mit ihm flüstert. »Das wird dir guttun. Du wirst schon sehen, mein Schatz. Ich sorge für uns beide, ich sorge dafür, dass man dich endlich ordentlich untersuchen wird. Jetzt sei tapfer, mein Liebling, Mama hat dich lieb.«
Das ist das, was sie sagt.
Aber was sie dabei tut, lässt mich nach Luft schnappen, ich muss mir den Mund fest zuhalten, um keinen Laut von mir zu geben.
Mit einer Hand streichelt sie seinen Bauch, dann zieht sie die Zehen von seinem rechten Füßchen auseinander und spritzt etwas dazwischen. Als er leise vor sich hin wimmert, beugt sie sich über ihn und gibt ihm einen Kuss auf die Wange. »Schätzchen, das wird uns helfen, das wird den Ärzten zeigen, wie krank du bist, und dann können sie uns endlich helfen.«
Ich muss schlucken und habe Tränen in den Augen. Ich kann nicht glauben, was ich da sehe. Ich weiß, ich sollte das filmen, sollte das Handy benutzen, aber ich kann nicht, bin einfach nur vollkommen unfähig, mich zu bewegen. Was tut sie Bennie da an? Und was um Himmels willen ist in der Spritze?
Ich muss da rein.
Sofort. Bevor sie noch mal zustechen kann.
Ich löse mich aus meiner Erstarrung, und ohne noch weiter nachzudenken, stürme ich in das Zimmer. »Was tust du da?«, brülle ich und schubse Anja weg von Bennie, sodass sie ins Taumeln gerät. Die Spritze schliddert dabei auf den Boden.
»Was fällt dir ein!« Anjas Gesicht ist rot vor Zorn. »Das sind meine Kinder und ich treffe hier die Entscheidungen, ist das klar! Und jetzt raus, das wird Konsequenzen haben.«
»Da bin ich sicher, denn ich werde Stefan den Film zeigen, den ich von dir gedreht habe.« Ich wedle mit dem Handy, als wären da tatsächlich irgendwelche Beweise drauf. »Ich bin gespannt, wie du ihm das erklären wirst.«
»Das muss ich gar nicht.« Anja stürzt sich mit so viel Kraft und ihrem ganzen Gewicht auf mich, dass ich umfalle. Sie packt mein Handgelenk, um mir das Handy abzunehmen. Aber ich werde es nicht hergeben. Eisern umklammere ich das iPhone und versuche, Anja von mir abzuschütteln.
Bennie, der noch immer auf dem Wickeltisch liegt und die ganze Zeit über gewimmert hat, fängt nun laut zu schreien an. Als Anja ihn hört, lässt sie mich für eine Sekunde los, steht flink wie eine Katze auf und legt Bennie in das Bettchen zu Mia.
Das gibt mir die Zeit, mich aufzurappeln, was mit dem Verband um meinen Knöchel und dem Handy in der Hand nicht so einfach ist. Angst hämmert durch meinen Körper, macht mich zittrig. Und jetzt? Abhauen, Ju suchen? Stefan anrufen?
Gerade als ich es geschafft habe und wieder auf beiden Füßen stehe, rennt Anja zu der Spritze hin, bückt sich und rast mit glänzenden Augen auf mich zu. Entsetzt starre ich sie an. Ihr Gesicht ist nur noch eine hohnlächelnde Maske. Einen winzigen Moment stehen wir uns gegenüber und fixieren uns. Und noch bevor ich etwas sagen oder tun kann, springt sie mit einem Satz auf mich zu und rammt mir die Spritze unten seitlich in den Hals und drückt den Kolben runter. Ich schreie laut auf, zapple und winde mich, aber sie hängt an mir wie eine Riesenzecke und ich schaffe es erst, sie abzuwerfen, als die Spritze leer ist. Sie lässt mich los und tritt zurück, schaut mich lauernd an.
Ich fasse mit zitternden Fingern an meinen Hals und spüre, dass Blut aus der Einstichstelle quillt. Ein brennendes Stechen lässt Panik in mir aufsteigen. Was verdammt noch mal war in dieser Spritze? Hitze breitet sich vom Hals in meinem Körper aus, als wäre das Zeug direkt in eine Ader gelangt. Und ich habe seit gestern nichts anderes mehr gegessen als diesen vergifteten Grießbrei, schießt es mir durch den Kopf und dann fange ich an zu zittern.
Die Einstichstelle tut auf eimal schrecklich weh und ich habe das Gefühl, als hätte Anja dickflüssige Lava in meinen Hals gespritzt. Diese Lava ist jetzt im rechten Arm, es fühlt sich an, als würde sie mein Blut dicker machen und die Adern anschwellen lassen. Ich muss mich festhalten, da dreht sich was.
»Was hast du getan?«, frage ich Anja. Während ich versuche,
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