Liebesfluch
widerstandslos gefallen lässt. Ich muss schlucken, als ich eine entsetzliche Wunde an ihrem Hals entdecke. Was um Gottes willen hat man ihr angetan?
Als mir klar wird, dass sie mich nicht erkennt, weiß ich nicht, was ich tun soll. Eigentlich müsste ich ihr zwei Ohrfeigen geben, aber das bringe ich angesichts dieser Wunde nicht übers Herz. Ich drücke sie fest an mich und brülle sie dann an, weil ich hoffe, dass sie das aus ihrem Zustand befreit.
Sie starrt mich an, blinzelt. »Ju?«
Vom Gang draußen höre ich mittlerweile Mia und Bennie weinen und dann höre ich noch etwas, ein Auto.
Ich lasse Blue einen Moment los und schaue zum Fenster raus, aber vom Kinderzimmer aus kann man die Garage nicht sehen. Wo Anja wohl steckt? Ob ich sie verletzt habe, als ich ihr im Garten diesen Stoß versetzt habe?
Blue schwankt und streckt ihre Hände nach mir aus. »Ju, komm, wir wollen zusammen um die Welt fliegen.«
»Du musst dich anziehen, Blue, sofort!« Ich zeige auf den Kleiderhaufen neben dem Wickeltisch.
Blue schüttelt den Kopf. »Ich will aber nicht.«
Ich bücke mich und nehme ihr T-Shirt. »Komm, ich helfe dir.«
Aber sie wehrt mich mit ihren Fäusten ab, gerade so, als ob ich ihr etwas Schlimmes antun wollte. »Bitte, Blue, mach schnell!« Sie schleudert das T-Shirt, das ich ihr gerade mit Müh und Not über den Kopf gezogen habe, weit von sich.
»Was zum Teufel ist hier los, wo ist Anja?« Stefan steht vor uns, sein Gesicht ist rot, seine Stirn glänzt vor Schweiß.
Ich schiebe mich vor Blue, aber sie bleibt nicht ruhig hinter mir stehen.
Stefan betrachtet die nackte Blue, reißt die Augen auf, schaut weg, schaut noch mal hin, merkt dann, dass sie nicht ganz bei sich ist, und schüttelt den Kopf.
»Ihr kommt sofort runter in die Küche!«, donnert er. »Seid ihr denn alle komplett verrückt geworden!«
Er geht zurück in den Flur zum Babybettchen, nimmt Mia auf den Arm und schiebt sich dann an uns vorbei zum Wickeltisch, als wären wir nicht da, zieht seiner Tochter schnell und liebevoll die nassen Kleider aus, hüllt sie in eine Decke und geht mit ihr wieder raus. Dort nimmt er Bennie auf den anderen Arm und geht nach unten.
Wenn ich nur wüsste, wie ich Blue wieder normal kriegen könnte! Aber dazu müsste ich erst wissen, was Anja Blue gegeben hat.
»Ju? Was ist hier eigentlich los?« Blues Stimme klingt, als wäre sie gerade eben aus einem langen Schlaf aufgewacht.
Ich kann es nicht länger ertragen, wie sie so nackt vor mir steht, und reiche ihr den BH und ihr Höschen.
Einen Moment lang starrt Blue verständnislos auf ihre Unterwäsche, dann schaut sie an sich hinunter. »I’m naked«, stellt sie verwundert fest.
Ich bin sicher, dass ihr das später todpeinlich sein wird, aber ich helfe ihr, den BH zuzumachen, und halte sie fest, als sie in ihr Höschen steigt, weil sie immer noch ziemlich schwankt. Offensichtlich kann sie auf dem einen Fuß immer noch nicht richtig auftreten; sie trägt einen Zinkleimverband um den Knöchel. Und obwohl sie etwas zu sich zu kommen scheint, wirkt sie noch immer, als wäre sie meilenweit entfernt. Was hat Anja ihr nur gegeben?
Nach einer Ewigkeit haben wir es geschafft, und damit es schneller geht und Anja keine Zeit hat, Stefan noch weitere Lügen aufzutischen, trage ich Blue die Treppe hinunter, obwohl mein Knie immer noch verdammt wehtut. Vielleicht ist es auch so eine Art Buße. Denn ich bin sicher, das alles ist einzig und allein meine Schuld.
24.
Immer wieder bin ich ihr gefolgt, weil ich sicher war, dass meine Chance kommen würde. An diesem kalten Wintertag ließ sie dich vor einem Geschäft draußen im Kinderwagen stehen, wo ich dich herausgenommen und in meinen mitgebrachten Wagen gesetzt habe.
Ju trägt mich, aber warum? Das ist schön. Er duftet so gut. Mein Kopf fühlt sich so leicht an, als wäre er gar nicht auf meinem Hals, sondern würde wie ein Ballon über mir schweben. Und ich sehe immer noch alles leicht verschwommen, aber es wird besser.
In der Küche riecht es nach Kaffee.
Anja und Stefan stehen vor der Spüle und schauen Ju und mich an, als wären wir Kakerlaken. Bennie und Mia liegen auf ihren Krabbeldecken vor dem Esstisch.
Ju ignoriert die beiden, setzt mich behutsam auf einem Stuhl ab und geht dann zur Küchenzeile. Er gießt Kaffee in eine bereitstehende Tasse und bringt sie mir, nachdem er noch einen ordentlichen Schuss kalte Milch hineingegossen hat. Anja und Stefan verfolgen schweigend jede seiner Bewegungen.
Sobald
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