Liebeskind
Diebach-Meyer, die, falls sie in der gleich folgenden Vernehmung keine glaubwürdigen Zeugen für ihre Angaben aufzuweisen hatte, ganz genau unter die Lupe genommen werden musste. Und was Monika Diebach-Meyer betraf, konnte sich Anna im Gegensatz zu Dirk Adomeit durchaus vorstellen, dass sie zu den brutalen Morden an Rainer Herold und Torsten Lorenz fähig gewesen war. Schließlich hatte sie klar ausgesprochen, dass sie keinerlei Mitleid mit den beiden empfand. Was für Anna ein deutlicher Hinweis darauf war, wie sehr sie Rainer Herold und Torsten Lorenz gehasst und wie wenig sie ihnen in all den Jahren verziehen hatte. Mit dem heutigen Tag war jedoch noch ein weiterer Verdächtiger dazugekommen, den es bis in die letzte Kleinigkeit zu durchleuchten galt: Hajo Wieland. Auch hielt Anna nach wie vor an der Möglichkeit fest, dass die unbekannte rothaarige Frau, die Rainer Herold im „Maschener Hof“ kennengelernt hatte, ebenfalls als Täterin infrage kommen konnte. Und so hatte sie den Namen „Angela“ an die vierte Stelle der Verdächtigenliste im Fall Herold und Lorenz gesetzt.
War es ein Fehler gewesen, das Kleeblatt zurückzulassen? Eigentlich durfte sich Elsa sicher fühlen, zumindest schien bisher noch niemand eine Verbindung zu ihr und den Morden an Rainer und Torsten hergestellt zu haben. Doch nun hatte sie zum ersten Mal ein wichtiges Indiz zurückgelassen. Ihre Kette befand sich nun in den Händen der Verräterin. Doreen war zwar nie besonders klug gewesen, vielleicht zog sie jetzt aber trotzdem die richtigen Schlüsse. Leider hatte Elsa das Gesicht ihrer Freundin aus Kindertagen nicht genau sehen können, dafür war sie, als sie Mutter und Tochter vom Feldrand aus beobachtet hatte, zu weit entfernt gewesen. Was hatte Doreen empfunden, als sie das Kleeblatt an dem Schneemann hängen gesehen hatte? Unbehagen? Möglicherweise sogar Angst? Bestimmt hatte sie ihre Tochter nach einer möglichst genauen Beschreibung der Frau, die den silbernen Glücksbringer zurückgelassen hatte, ausgequetscht. Doch war ein Kind in diesem Alter überhaupt zu einer realistischen Beschreibung fähig? Was aber, wenn Doreen trotzdem eins und eins zusammenzählte? Wenn sie Robin anrief, um sich nach Elsa zu erkundigen, ihrer Mutter Irmgard von ihrem Verdacht erzählte oder, noch schlimmer, der Polizei einen Hinweis gab? Elsa hatte die Vorstellung genossen, dass sie Doreen mit der Kette ins Herz treffen würde. Das Unterpfand ihrer Kinderfreundschaft sollte zum Zeichen der Bedrohung für Doreen werden. Schluss sollte sein mit dem unbeschwerten Familienleben, Elsa wollte endlich einen Schatten auf dem Gesicht von Doreen sehen. Doch sie hatte nicht bedacht, dass ihre ehemalige Freundin versuchen könnte, sich ihrerseits von der Vergangenheit und somit von ihr zu befreien. Es gab keinen Zweifel, Elsa war zu weit gegangen. Jetzt war es höchste Zeit, dass sie ihreSpuren verwischte. Mit ihrem Bruder Robin würde sie anfangen.
„Ich werde nach Frankfurt zurückgehen, Brüderchen. Zum Glück habe ich meinen Job und die Wohnung dort noch nicht gekündigt. Es hat nicht geklappt mit meinen Plänen, hier noch einmal ganz von vorn anzufangen.“
„Aber du kannst doch nicht gehen, ohne Mutter zu besuchen. Das ist nicht fair, Elsa.“
„Was ist schon fair.“
Am liebsten hätte Elsa ihr Gespräch mit Robin an diesem Punkt beendet, doch sie musste klug handeln. Sie brauchte ihren Bruder auf ihrer Seite. Schließlich war er der einzige Mensch, der sie tatsächlich mit den Morden in Verbindung bringen konnte und es vielleicht auch tun würde, wenn sie ihn noch länger hinhielt.
„In Ordnung, wann sollen wir hingehen?“
„Morgen Nachmittag, am besten, du kommst erstmal zu mir.“
In dieser Nacht tat Elsa kein Auge zu, denn schon morgen würde sie ihre Mutter wiedersehen. Dabei hatte sie hart dafür gekämpft, Vera für immer aus ihrem Leben zu verbannen. Sie war von zu Hause ausgezogen, lange vor ihrer Volljährigkeit. Das karge Zimmer und die Ignoranz ihrer Tante Gertrud, die sich überhaupt nicht für ihre Nichte interessiert hatte, hatten es Elsa möglich gemacht, sich auf die Schule und einen guten Abschluss zu konzentrieren. Anschließend hatte sie ihr Studium in Angriff genommen, Lebensmittelchemie in Hessen, und ebenfalls mit einem anständigen Abschluss zu Ende gebracht. Später hatte Elsa nahtlos eine Anstellung als Chemikerin in einem großen Lebensmittelkonzern gefunden. Seitdem war sie Tag für Tag damit beschäftigt,
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