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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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mit seinen viel zu kurzen Hosen, seinem ständigen Zucken und seiner Schüchternheit. Wie war das damals? Ist Marianne Lorenz eigentlich auch in eurer Clique gewesen?“

    „Marianne hat früher eigentlich nur Pferde im Kopf gehabt. Wie viele Mädchen dieser Gegend hat sie sich meistens in den Ställen herumgetrieben, und verliebt haben sich solche höchstens einmal in ihren Reitlehrer. Auf Feten ist Marianne früher schon auch ab und zu gewesen, aber ich habe sie dort niemals rumknutschen sehen.“
    „Auch nicht mit Dirk?“
    „Wie kommst du denn darauf? Dirk scharwenzelte zwar um uns alle herum, war aber nie irgendwo eingeladen. Er konnte einem schon irgendwie leidtun. Ständig hat er sich abgemüht, ohne je einen Fuß in die Tür zu bekommen.“
    „Paula, ich glaube nicht, dass Dirk Adomeit etwas mit den verübten Verbrechen zu tun hat. Nein, es muss noch jemand anderen gegeben haben. Kennst du eigentlich auch Monika Diebach von früher?“
    „Natürlich, und wenn du mich fragst, hat Monika gewiss nicht weniger Gründe gehabt, sich an Rainer und Torsten zu rächen, als Dirk Adomeit, so wie die damals von den beiden gemobbt worden ist. Aber ich glaube kaum, dass sie sich deswegen zu irgendwelchen Straftaten hat hinreißen lassen und somit alles gefährdet, was sie sich erarbeitet hat. Wenn also tatsächlich jemand aus der Vergangenheit für die Morde verantwortlich ist, musst du möglicherweise noch ein paar Jahre früher ansetzen, Anna. Schließlich bin ich ja erst in der Oberstufe dazugekommen. Hast du dir das schon mal überlegt?“
    Nein, diese Möglichkeit hatte Anna bisher noch gar nicht in Betracht gezogen. Sie schnappte sich eine der bereits fertiggestellten Weihnachtskarten von Paulas Tisch und gab ihrer Freundin einen dicken Kuss.
    „Die ist für meine Mutter“, meinte sie erklärend. „Und danke für den Tipp, Paula! Du bist einfach genial.“

    Elsa in Maschen, im Herbst 1986.
    Elsa hatte sich in ihrem Zimmer eingeschlossen. Sie stopfte Chips in sich hinein, danach kam eine ganze Packung Schokoladenkekse an die Reihe. Auch wenn alles irgendwie gleich schmeckte, verschwand doch die Kälte in ihr, während sie kaute. Als die Tüten leer waren, stand Elsa auf und fegte die Krümel von ihrer Bettdecke. Sie schaute an sich hinunter, pulte ein letztes Stück Keks aus der Falte ihrer Jogginghose und steckte es sich in den Mund. Ihre Augen blieben an den Fettwülsten in der Mitte ihres Körpers hängen. Wie eine Schwangere sah sie aus oder wie ein Kerl mit einem vom vielen Biertrinken aufgeschwemmten Bauch, die konnten ihre Füße, sobald sie aufrecht standen, auch nicht mehr von oben sehen. Aber als Schwangere trug man immerhin ein neues Leben in sich, bei ihr hingegen waren es nur Chips und literweise zuckerige Blubberbrause. Da war nichts als Müll in ihrem Bauch. Der Körper war Elsas Feind, er hielt sie gefangen. Trotzdem musste Elsa ihn am Leben erhalten, denn er beherbergte ihre Gedanken. Dieses unförmige Ding aus Fett- und Fleischbergen, wie sie ihren Körper doch hasste. Andauernd ließ er sie im Stich, ständig hatte sie Schmerzen; Migräne, Schwindel oder einen brennenden Unterleib. Darüber hinaus konnte er nie Ruhe geben, wollte immer essen und trinken oder schlafen. Und wenn sie ihren Körper auf die Hälfte reduzierte, würde er dann vielleicht begehrenswert sein, überlegte Elsa. Wäre sie liebenswerter, gäbe es nur noch halb so viel von ihr? Würde Torsten sie dann mögen? Elsa stellte sich vor den Spiegel, um sich vorzustellen, wie sie als geschrumpfte Prinzessin aussehen würde. Der Fleck in ihrem Gesicht sprang sie feuerrot an. Würde auch er schrumpfen, nur noch halb so groß sein und blassrosa vielleicht? Nein, natürlich nicht, er würde wie immer sein, vielleicht sogar mehr auffallen in ihrem dann schmalen Mäusegesicht. Elsa würde immer gezeichnet bleiben, entstellt durch das Mal. Doch wie armselig war es, in der Äußerlichkeit stecken zu bleiben. Elsa fühlte, dass ihr Geist unendlich war. Wie wenig Wert hatte dagegen diese schadhafte Außenhülle, ihr Körper, die ihn begrenzte. Warum gab es niemanden, der spürte, wie viel sie war? Nein, zu ihrer Seele passte nur eine ihr gleichgeartete. Elsa wusste, sie war allein, weil sie besonders war. Sie war ein Mensch mit einem großen Geist, gefangen im Körper eines Monstrums.
    Wie so oft in letzter Zeit fand Doreen in dieser Nacht keinen Schlaf. Sie wälzte sich in ihrem Bett herum, aber heute gab es leider niemanden, auf den

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