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Liebeskind

Liebeskind

Titel: Liebeskind Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: C Westendorf
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sie Rücksicht nehmen musste. Arno hatte auf einer Baustelle im Osten zu tun und würde erst Ende der Woche wieder zurück sein. Sie machte Licht, zog sich die grüne Strickjacke über und wartete, dass der Geruch ihrer Mutter sie tröstete. Auf Zehenspitzen, um Martha nicht zu wecken, ging sie nach unten. Dabei übersprang sie die knarrenden Stufen und stellte sich einen Stuhl vor die Standuhr. Gleich war es so weit, und Arno würde sie im Geist in den Arm nehmen; zwölf Mal.
    Doreen sah vor ihrem inneren Auge noch einmal das Phantombild der unbekannten Zeugin aus der Zeitung, jene Frau, die im Zusammenhang mit Rainers Tod gesucht wurde. Bei genauerem Überlegen glich die Phantomzeichnung Marthas Beschreibung der fremden Frau, die mit ihr zusammen einen Schneemann gebaut hatte. Sabine. Wie ein Engel habe Sabine ausgesehen, nur dunkler, hatte Martha gesagt. Irgendwie erinnerte das an Elsa. Waren Elsa und Sabine möglicherweise doch ein und dieselbe Person? Wiederum sah Doreen die grün emaillierten Kleeblätter aus dem Kaufhaus vor sich liegen und schüttelte energisch den Kopf. Nein, zum Teufel, Sabine war Sabine. Sie war einfach eine Frau, die Kinder gern hatte, weiter nichts.

    Was Elsa heute wohl machte? Nachdem sie aus Maschen fortgezogen war, hatte es geheißen, dass sie jetzt in Hamburg lebe. Ihre Mutter Vera hatte Doreen dann irgendwann einmal erzählt, dass Elsa mittlerweile ein Studium in Hessen begonnen habe. Doreen erinnerte sich, wie verwundert, aber auch stolz Vera gewesen war, dass die kleine Elsa nun so zielstrebig ihren Weg ging. Überhaupt, warum sollte Elsa nach all der Zeit zurückkommen und sich ihr gegenüber als Rachegöttin aufspielen? Hatte sie denn überhaupt einen Grund dafür? Gut, möglicherweise konnte Elsa mit gutem Recht eine Entschuldigung von Doreen erwarten, mehr allerdings nicht.
    Wahrscheinlich war aus Elsa mittlerweile eine erfolgreiche Chemikerin geworden, überlegte Doreen weiter. Vielleicht lebte sie heute mit einem humorvollen Mann zusammen und hatte drei niedliche Kinder. Aber passte ein Mann mit Humor überhaupt zu Elsa?
    Wie auch immer, bestimmt würde Elsa gerade jetzt, in dieser Nacht, gut schlafen und keinen Gedanken an ihre Schulzeit verschwenden. Keine Gedanken verschwenden an sie, Doreen. Und wenn alles nun doch ganz anders war? Doreen kam Elsas aufbrausendes Wesen in den Sinn und auch ihre Wutausbrüche. Früher hatte Elsa des Öfteren die Kontrolle verloren, einmal sogar ihr, der einzigen Freundin, ins Gesicht geschlagen. Damals hatte Elsa so getan, als wäre das völlig in Ordnung gewesen. Elsa hatte sich immer im Recht gefühlt. Glaubte sie jetzt etwa, das Recht zu haben, andere Menschen zu töten, nur weil man sich vor vielen Jahren einen üblen Scherz mit ihr erlaubt hatte? Waren Rainer und Torsten erst der Anfang gewesen? Die Uhr schlug zwölf Mal, aber Doreen fühlte sich leider nicht von Arno in den Arm genommen. Vielleicht sollte sie doch zurPolizei gehen. Am besten schon morgen, bevor sie es sich wieder anders überlegte. Und darüber hinaus musste sie auch ihrer Mutter Irmgard von ihrem Kummer erzählen. Doreen gähnte, aber es war kein Gähnen aus Müdigkeit. Doreen gähnte, damit sich ihre angespannten Kieferknochen wieder lockerten. Sie sah sich in ihrem Haus um, aber die Dinge um sie herum wirkten auf einmal verändert. Sie wirkten, als hätte Elsa sie vergiftet. Die Sofas, die Vorhänge, die Standuhr, das kleine weiße Lämpchen im Flur auf dem Telefontisch, sogar der Teebecher in Doreens Händen fühlte sich anders an. Es war, als hätte sich über alles ein dumpfer Überzug gelegt, der nicht mehr abging. Eingetrübt waren sie, die Dinge. Dann plötzlich starrte Doreen aus jeder Ecke Elsas Gesicht entgegen, und sie sah ihre Kinderfreundin vor sich stehen und auf sie einschlagen. Doreen warf sich auf den Boden und hob die Arme, um ihren Kopf zu schützen. Als ihr Tagtraum endlich vorüber war, kam sie nur mühsam wieder auf die Beine. Sie zitterte und fühlte nichts als Angst.

12
    Doreen winkte ihrer Tochter Martha ein letztes Mal durch die Glasscheibe des Gruppenraums für „die kleinen Enten“ zu und zog ihren Autoschlüssel aus der Manteltasche. Weil sie heute Morgen später gekommen waren als sonst, hatte Doreen einen Parkplatz direkt vor dem Kindergarten erwischt. Gerade hastete Sylvia mit ihrer Tochter Lina an ihr vorbei.
    „Immer dieses Gehetze, die Kleine wollte sich wieder mal nicht anziehen lassen. Wie isses, hast du Zeit für einen

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