Liebeskind
Sigrid Markisch zielstrebig an die Arbeit. Auf ihren Lippen spielte ein dünnes Lächeln, das erst verschwand, nachdem sie die ersten Gespräche geführt hatte. In Rainer Herolds offizieller Kundenliste war, nach Überprüfung der Daten, kein einziger Privatmann verzeichnet, doch so schnell wollte die Giraffe nicht aufgeben. Sigrid Markisch ging allein in die Kantine zum Essen, anschließend machte sie sich auf den Weg zu Torsten Lorenz’ Witwe. Wichtig war jetzt vor allem, dass sie schnell handelten, wenn sie zu Ergebnissen kommen wollten. Sollten doch die Kollegen aus Hamburg ihre Zeit mit müßigen Gedankenspielen vergeuden, Sigrid brauchte sie nicht. Sie war es gewohnt, sich allein durchzubeißen.
„Hat Ihr verstorbener Ehemann in der letzten Zeit eigentlich noch Kontakt zu seinem Jugendfreund Rainer Herold gehabt?“
Marianne Lorenz versuchte, sich auf die schnellen Fragen der Kommissarin aus Hannover zu konzentrieren.
„Die beiden haben ab und zu miteinander telefoniert, aber es ist bestimmt drei oder vier Jahre her, dass sie zum letzten Mal zusammen unterwegs ...“
Sigrid Markisch fiel ihr ins Wort.
„Mich interessieren die privaten Gelage der beiden nicht, mir geht es um etwas anderes. Frau Lorenz, hat Ihr Mann an der Börse spekuliert?“
Marianne Lorenz bemühte sich weiter um Höflichkeit gegenüber der Beamtin, doch es fiel ihr mit jeder Minute schwerer.
„Ich glaube nicht. Torsten war eine Spielernatur, aber er ließ seine Finger von Dingen, von denen er nicht viel verstand. Ich rufe Sie jedoch sofort an, sollte ich dazu noch etwas in seinem Papierkram entdecken.“
Sigrid Markisch schrieb die Telefonnummer der Hamburger Dienststelle auf die Rückseite ihrer Visitenkarte und gab sie Marianne Lorenz.
„Ich bin sicher, das wird bald der Fall sein. Für heute danke ich Ihnen für Ihre Hilfe, Frau Lorenz, und bitte denken Sie an die Liste der Bekannten Ihres Mannes, um die ich Sie gebeten habe.“
Sigrid Markischs Augen leuchteten, als sie in die Dienststelle zurückfuhr. Wenn sie diese Mordfälle hier erst einmal gelöst hätte, würde sie ihren Erfolg vielleicht schon früher als gedacht mit einer neuen Arbeitsstelle und einem Umzug nach Hamburg feiern können.
In Sigrid Markischs Büro war seit Stunden niemand mehr ans Telefon gegangen. Anna Greve legte auf und wählte dann kurz entschlossen die Nummer von Antonia Schenkenberg an.
„Wissen Sie, wo unsere neue Kollegin steckt?“
„Kann ich nicht sagen, sie hat sich nicht bei mir abgemeldet.“
Anna bedankte sich und beobachtete dabei Weber, der noch immer mit dem jungen Bertram beschäftigt war. Zu gern hätte sie jetzt ein Gespräch unter vier Augen mit ihm geführt. Sie brauchten unbedingt eine gemeinsame Strategie. Wie sollten sie mit dem Verhalten von Sigrid Markisch umgehen?
Gerade war ein Fax hereingekommen, Anna stand auf und nahm die Seiten aus dem Gerät heraus. Sie las denVermerk: zu Händen Kommissarin Markisch – auf der ersten Seite. Bei der Absenderin handelte es sich um Marianne Lorenz. Wie aus dem Anschreiben hervorging, hatte sie eine Aufstellung der Bekannten ihres verstorbenen Mannes angefertigt. Während Anna zum Kopierer ging, wunderte sie sich darüber, dass die Giraffe ihre angekündigten Alleingänge nun wohl tatsächlich in die Tat umsetzte.
„Hier, gucken Sie sich das an, Weber.“
Anna hielt ihm das Fax unter die Nase.
„Was wäre geschehen, wenn ich das nicht eben zufällig entdeckt hätte?“
Weber sah seine Kollegin ratlos an.
„In einer Stunde bin ich hier fertig, dann reden wir darüber.“
„Wie Sie meinen, inzwischen fange ich jetzt schon einmal allein an, die auf der Liste angegebenen Leute abzutelefonieren.“
In ihren nun folgenden Gesprächen schlug der Kommissarin Anna Greve viel Sympathie für den ermordeten Fabrikbesitzer aus Maschen entgegen. Torsten Lorenz war, wie es schien, überall beliebt gewesen, bisher hatte niemand seiner Bekannten auch nur ein kritisches Wort über ihn verloren.
Anna erfuhr, dass Torsten Lorenz Mitglied bei der Freiwilligen Feuerwehr und amtierender Schützenkönig des Dorfes gewesen war. Also musste er tatsächlich ein wohlhabender Mann gewesen sein, denn als Schützenkönig hatte man diverse repräsentative Pflichten zu erfüllen und für ein Jahr lang so manchen Stammtisch freizuhalten. Was überdies der Grund dafür war, dass nicht immer der beste Schütze eines Ortes auch sein König wurde. Trotzdem musste jemandwie Torsten Lorenz auch Neider
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