Liebeskind
Gedanken hin? Und wie sollte sie ihre Sorgen um Ben in den Griff bekommen? Es war offensichtlich, wie sehr sich ihre Haltung von der Toms unterschied, was die Erziehung ihres Sohnes betraf. Dabei war es doch so wichtig, dass sie als Eltern, zumindest nach außen hin, eine Einheit bildeten. Anna war ratlos, also wählte sie Paulas Nummer. Ihre Freundin war der einzige Mensch, dem sie sich immer anvertrauen konnte, egal, worum es ging. Vielleicht würde sie ihr aber auch gar nichts von ihren Sorgen erzählen, sondern nur ein bisschen mit ihr plaudern und hoffentlich auch lachen. Es gab niemanden, mit dem Anna das Lachen so viel Freude machte wie mit Paula.
„Störe ich?“
„Ach, woher. Ich pule mir gerade den Kleister aus den Haaren. Weißt du, ich hab heute endlich mein Schlafzimmer renoviert. Wollte ich eigentlich schon im Sommer machen, aber da hat mich immer die Sonne gekitzelt und zum Schwimmen geschickt. Jetzt ist das Jahr fast vorbei, Zeit, endlich etwas zu verändern. Musst du dir unbedingt ansehen, dieses Orange ist wunderbar. Und dann die darunter schimmernden asiatischen Schriftzeichen. Ich hab mir vom Hauptbahnhof ein paar chinesische Zeitungenbesorgt und eine Wand damit tapeziert. Sieht klasse aus. Was gibt’s, Anna?“
Als Anna am nächsten Morgen ihr Büro betrat, saß Lukas Weber bereits an seinem Schreibtisch.
„Anna, mir ist es gestern Abend noch gelungen, Frau Diebach telefonisch zu erreichen. Sie erwartet uns heute in ihrem Büro beim niedersächsischen Gesundheitsministerium in Hannover. Sigrid meint, wir sollten diesen Termin ohne sie wahrnehmen, da sie nach wie vor an der Recherche zu Dirk Adomeit sitzt. Wie ist es, wollen wir heute nicht ausnahmsweise einmal den Zug nehmen? Es würde sich anbieten, denn der Regierungssitz liegt gar nicht weit entfernt vom Hauptbahnhof.“
„Um Gottes willen, nein, Weber! Aber ich habe Ihren Wink mit dem Zaunpfahl schon verstanden, also geben Sie mir ruhig die Autoschlüssel, ich fahre.“
An diesem Vormittag war die Autobahn 7 in Richtung Hannover jedoch so stark frequentiert, dass Anna, als sie kurz darauf mit ihrem Wagen im Stau standen, ihre Entscheidung, mit dem Auto zu fahren, mehr als bedauerte. Sie überlegte schon, das Warnlicht anzuschalten und auf der Standspur bis zur nächsten Ausfahrt zu fahren, da bemerkte sie, dass Weber sie aufmunternd von der Seite ansah.
„Fahren Sie nur los, Anna, ein paar Vorteile muss unser Job schließlich auch haben.“
Obwohl die anschließende Autofahrt über Land zeitraubend war, trafen die beiden Kommissare beinahe pünktlich in Hannover ein. In ihrem Büro im Presseamt des niedersächsischen Ministeriums für Familie und Gesundheit wurden sie bereits von Monika Diebach-Meyer erwartet.
„Frau Greve, Herr Weber“, nickte sie zuerst Anna und anschließend Lukas Weber zu. „Es tut mir sehr leid, aber jetzt habe ich nicht viel mehr als eine Viertelstunde Zeit für Sie. Morgen steht ein wichtiger Termin in Berlin an, auf den ich mich noch vorbereiten muss. Was kann ich denn für Sie tun?“
„Es geht um die Mordfälle an Rainer Herold und Torsten Lorenz. Sie werden vielleicht schon davon gehört haben“, übernahm Anna.
„Wie bitte, Rainer und Torsten sind tot?“
„Genau deshalb sind wir hier. Immerhin sind Sie früher zusammen mit den beiden zur Schule gegangen und sollen nicht gerade das beste Verhältnis zueinander gehabt haben.“
Monika Diebach-Meyer lächelte die Kommissare freundlich an und erwiderte gelassen: „Das ist richtig, schließlich haben mir Rainer und Torsten von Anfang an Steine in den Weg gelegt. Ein Versuch, der jedoch, wie Sie heute sehen können, offensichtlich gescheitert ist.“
„Trotzdem sollen Sie sich dahingehend geäußert haben, es Rainer Herold und Torsten Lorenz irgendwann einmal heimzahlen zu wollen.“
Monika Diebach-Meyer nahm ihre Lesebrille von der Nase und starrte anschließend eine ganze Weile nachdenklich aus dem Fenster, bevor sie antwortete.
„Die beiden haben sich mir gegenüber damals sehr niederträchtig verhalten, und das nicht nur, weil sie meine erneute Wahl zur Klassensprecherin verhindert haben. Rainer und Torsten hatten vor allem deshalb ein Problem mit mir, weil ich ein Mädchen war, das sich ihnen nicht unterordnen wollte. Ich glaube, wenn ich zu jener Zeit eine gute Gelegenheit zur Rache gehabt hätte, so hätte ich sie auf jeden Fall auch wahrgenommen. Und wenn ich ehrlich bin, habe ich keinerlei Mitleidmit den beiden. Aber das Ganze
Weitere Kostenlose Bücher