Liebeskind
Kanzlei meiner Eltern ein. Zuerst als Referendar, aber später werde ich den Laden irgendwann übernehmen.“
Der Gockel lehnte sich zurück, verschränkte die Arme hinter seinem Kopf und sah Elsa dabei erwartungsvoll an.
„Glückwunsch“, entgegnete Robin freundlich, dann wandte er sich wieder seiner Schwester zu.
Elsa lächelte nicht. Ihre Fingerkuppen klopften einen Rhythmus auf die Tischplatte, den Robin nicht kannte.
„Warum ist dieser Arzt auf einmal so zuversichtlich, Robin? Du hast mir doch erzählt, mit Vera ginge es ständig bergab.“
Wieder wurde ihr Gespräch von dem jungen Mann am Nebentisch unterbrochen.
„Darf ich euch etwas mitbestellen?“
Er stand vor Elsa, berührte ihren Arm und glitzerte sie an.
„Wir sind versorgt“, blaffte sie zurück.
Elsa setzte sich seitlich auf ihren Stuhl und beugte sich dabei weit zu ihrem Bruder hinüber. Sie senkte ihre Stimme, als sie weitersprach.
„Ich verspreche dir, dass wir so bald wie möglich zusammen zu Vera gehen werden. Aber jetzt lass uns bitte von etwas anderem reden. Wie sehen eigentlich deine Pläne für Weihnachten aus?“
Robin musterte seine Schwester irritiert. Was sollte er schon groß an den Festtagen vorhaben, außer Vera zu besuchen und ansonsten für sich allein zu sein? Außer er entschloss sich, noch eine Gans für sie beide in den Ofen zu schieben. Was war nur los mit Elsa? Sie wirkte auf einmal total nervös und wusste nicht, wohin mit ihrem Blick. Sollte dieser zugegebenermaßen ein wenig aufdringliche Junge am Nebentisch etwa der Grund dafür sein? Möglicherweise kannte Elsa ihn ja von irgendwoher.
„Aber ihr habt doch hier studiert, oder?“
Der Student wollte es anscheinend noch immer nicht aufgeben.
„Einen Moment, Robin.“
Elsa, die eben noch wie ein scheues Reh gewirkt hatte, das man in die Enge treiben wollte, bekam einen starren Blick. Dann stand sie auf und baute sich vor dem jungen Mann auf, nahm das halb volle Glas von seinem Tisch und schüttete ihm das Bier in den Schoß.
„Kann ich sonst noch etwas für Sie tun?“
Wäre der junge Mann schlagfertig gewesen, wäre ihm vielleicht eine passende Antwort dazu eingefallen. So wischte er nur wortlos mit einer Serviette auf seiner Hose herum. Er schien viel zu überrascht, um wütend zu sein.
Elsa setzte sich nicht wieder an den Tisch.
„Ich muss morgen früh raus, Robin, wir telefonieren.“
Sie zerrte ihre Tasche von der Stuhllehne, und Robin beobachtete, wie ihre Hände dabei zitterten. Als Elsa gegangen war, bestellte er für sich und den Gockel am Nebentisch, der jetzt eher wirkte wie ein begossener Pudel, noch ein Bier.
„Tut mir leid, Kumpel, meine Schwester hatte einen schweren Tag.“
Robin starrte zu der Stelle auf der Straße, an der Elsa vor ein paar Minuten seinem Blickfeld entschwunden war. Was war hier eigentlich gerade geschehen? Gut, der Mann hinter ihm mochte zwar penetrant gewesen sein, aber ein paar klare Worte hätten auch gereicht, um ihn in seine Schranken zu weisen. Warum hatte Elsa nur dermaßen die Fassung verloren? Warum war sie auf einmal so aggressiv geworden? Doch wenn er es recht überlegte, wusste Robin, dass Elsa schon immer so gewesen war. Manchmal hatte es nur einer Kleinigkeit bedurft, und Elsa hatte ihre Wut nicht mehr unter Kontrolle gehabt. Darüber hinaus war sie schon immer nachtragend, ja sogar rachsüchtig gewesen. Plötzlich kamen Robin all die Geschichten von früher wieder in den Sinn und verbanden sich in seinen Gedanken mit dem, was er in der Zeitung über die Morde an Torsten Lorenz und Rainer Herold gelesen hatte. Besonders die Information, dass beide Männer verstümmelt worden waren, ließ ihn jetzt nicht mehr los. Und je intensiver Robin darüber nachdachte, desto unsicherer begann er zu werden. Auch wenn er nicht wusste, worum es damals tatsächlich gegangen war, so hatte er doch mitbekommen, dass Rainer und Torsten seiner Schwester Elsa übel mitgespielt hatten. War es denkbar, dass sie sich nun, nach all dieser Zeit, dafür an ihnen gerächt hatte? Konnte Elsa etwasmit den Morden an Rainer und Torsten zu tun haben? Sollte sie tatsächlich dazu in der Lage sein, andere Menschen zu töten?
Elsa in Maschen, im Sommer 1986.
Vera trug ein neues, blau-weiß gepunktetes Sommerkleid. Sie drehte sich vor dem Spiegel im Flur herum wie eine Ballerina und warf die Haare in den Nacken. Ihre Lippen waren rot geschminkt.
„Herr Wegener holt mich gleich ab. Richtest du bitte das Abendbrot und bringst
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