Liebeskind
ist nun schon so lange her, Frau Greve, dass ich es beinahe vergessen habe.“
„Gut, Frau Diebach-Meyer, für heute müssen wir nur noch einen letzten Punkt klären, dann können Sie sich wieder Ihrer Arbeit widmen. Würden Sie uns sagen, wo Sie sich am 23. November gegen 22.00 Uhr, sowie am 28. November in den frühen Abendstunden aufgehalten haben?“
„Am 28. und 29. November bin ich auf einem Kongress in Hamburg gewesen, doch an den anderen Abend kann ich mich nicht auf Anhieb erinnern. Ich werde dazu kurz in meinem Terminkalender nachschauen müssen, einen Moment bitte.“
Sie verließ den Raum, um in ihr Sekretariat hinüberzugehen, und Anna wandte sich ihrem Kollegen zu.
„Was halten Sie von der Frau, Weber?“
„Monika Diebach scheint mir sehr selbstbewusst zu sein, und darüber hinaus klingt ihre Aussage glaubwürdig.“
„Ja, genau so, wie man es sich von einer Politikerin erwartet. Doch damit ist noch nicht gesagt, dass ihre Angaben auch der Wahrheit entsprechen.“
„Am 23. November habe ich so spät abends keinen Termin mehr gehabt“, erklärte Monika Diebach-Meyer, nachdem sie aus ihrem Vorzimmer zurückgekehrt war. „Wahrscheinlich bin ich zu dieser Zeit bereits zu Hause gewesen.“
„Kann das jemand bezeugen? Ihr Mann vielleicht?“
„Ich lebe seit ungefähr zwei Monaten von meinem Mann getrennt. Falls Sie jedoch einen Kater als Zeugen akzeptieren, hätte ich ein Alibi vorzuweisen.“ Sie lächelte und fuhr sich mit den Händen durch ihre kinnlang geschnittenen, kastanienbraunen Haare. „Falls nicht, gibt esfür diesen Abend leider niemanden, der meine Aussage bestätigen könnte.“
Elsa saß auf dem Fußboden ihres Apartments. Vor sich hatte sie die Einzelteile des Nähkästchens ausgebreitet, neben ihr stand eine Flasche mit Leim. Sie untersuchte die zersplitterten Holzleisten und die verzogenen Schubladen mit ihren eingetretenen Fronten. Seltsam, dass es Zeiten gegeben hatte, in denen ihr dieses Ding einmal so wichtig gewesen war. Und dennoch hatte Elsa einst davon geträumt, genau so ein Kästchen zu besitzen und seine Schubladen mit ihren geheimen Schätzen zu füllen. Torsten hätte ihr ganz leicht eines schenken können, schließlich waren sie für seinen Vater nicht viel mehr als Verpackungsmaterial gewesen. Im Hinterhof der Näherei hatten immer ein paar angestoßene Kästchen beim Müllcontainer herumgelegen. Elsa wäre auch mit solch einem beschädigten zufrieden gewesen, aber sie wollte es sich nicht heimlich wegnehmen. Sie wollte, dass Torsten es ihr schenkte, aber Torsten hatte nein gesagt.
Elsa stand auf und betrachtete ihr Gesicht im Spiegel. Sosehr es ihr auch missfiel, die Ähnlichkeit mit ihrer Mutter Vera war unverkennbar. Der Mensch, mit dem sie in ihrem Leben immer am wenigsten hatte zu tun haben wollen, erfüllte sie, schimmerte durch sie hindurch. Elsa schüttete den schäbigen Rest ihrer Kinderträume in einen Plastikbeutel und schob ihn wieder unters Bett zurück. Ja, Vera war an allem schuld, Elsa hatte nie eine Chance gehabt, glücklich zu werden.
Dirk Adomeit saß in seinem rindsledernen Ohrensessel, die Füße auf einen weichen Hocker gelegt, und versuchte zu lesen. Aber die Zeilen verschwammen vor seinen Augen,und es gab nichts, was er dagegen tun konnte. Stattdessen drängten sich ihm immer wieder die Sätze der Kommissarin aus Hannover ins Bewusstsein. Er habe vielleicht Schuld daran, dass zwei Menschen ermordet worden wären, hatte sie gesagt. Und eventuell habe er das ja auch ganz direkt zu verantworten. Glaubte sie wirklich, dass er ein Messer zur Hand genommen hatte? Jedenfalls war die Kommissarin von nichts, was Dirk ausgesagt hatte, überzeugt gewesen. Ein Klassentreffen als Grund für die Anrufe anzugeben, wie lächerlich. Leider war der einzige Mensch, der seine Angaben hätte bestätigen können, Rainer Herold. Aber ein Toter machte sich nun einmal nicht gut als Zeuge. Und eine Frau wie Sigrid Markisch würde nicht verstehen, dass er nach ein paar unverbindlichen Telefonaten mit der Vergangenheit keine Lust mehr gehabt hatte, sich auch noch in der Gegenwart schlecht zu fühlen. Denn genau das wäre passiert. Dirk erinnerte sich noch einmal an sein Gespräch mit Rainer.
„Ein Klassentreffen?“, hatte Rainer in amüsiertem Ton gefragt. „Ich weiß wirklich nicht, ob ich für so etwas Zeit erübrigen kann, Dirk. Wie kommst du denn überhaupt auf eine dermaßen langweilige Idee, alter Junge? Hast du etwa nichts Besseres zu
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