Liebeskind
Persönlichkeitsstruktur her nicht gerade der Typ zu sein, der anderen Männern die Eier abschneidet.“
Annas Augen leuchteten auf.
„Sag ich doch. Gut, dann setzen wir gleich für Montag früh eine ausführliche Besprechung mit den Kollegen an.“
„Wie wäre es, Anna, wenn wir stattdessen heute noch einmal eine gemeinsame Befragung im Umfeld von Torsten Lorenz in Angriff nehmen? Schließlich war ich in den Tagen nach dem Mord ganz und gar mit dem jungen Bertram beschäftigt und würde mir gern selbst ein Bild von den Maschenern machen. Fangen wir mit der Witwe von Torsten Lorenz an?“
„Gute Idee, Weber.“
Anna Greve klingelte nun schon zum dritten Mal an der Haustür der Lorenzens, aber niemand reagierte auf das Läuten. Dabei brannte in allen Räumen Licht, und die bläulichen Blitze im Wohnzimmer ließen darauf schließen, dass der Fernseher eingeschaltet war. Endlich tauchte der blond gelockte Schopf eines kleinen Mädchens hinter den Butzenscheiben der Haustür auf.
„Mama ist in der Sauna, ich sage ihr Bescheid“, rief sie ihnen zu, nachdem sie die Tür geöffnet hatte.
Weber und Anna standen im Flur, als die Kleine wiederkam.
„Sie kommt gleich.“
Das Kind steckte sich ein großes Fruchtgummi in den Mund und rannte ins Wohnzimmer zurück, wo tatsächlich der Fernseher lief. Ein Zeichentrickfilm aus Japan flimmerte über die Leinwand, der eigentlich viel zu brutal für ein Mädchen von höchstens fünf Jahren war, dachte Anna.
Marianne Lorenz kam kurz darauf in einem weißen Frotteebademantel die Treppe vom Keller herauf. Ihr Gesicht war gerötet, ihr Blick flackerte unruhig, und ihr Körper war schweißnass.
„Einen Augenblick, ich ziehe mir nur eben etwas an“, murmelte sie und zog sich den Mantel fester um die Schultern.
„Mittlerweile scheint schon Ihre bloße Anwesenheit zu genügen, Weber, um die Frauen aus der Fassung zu bringen. Ob das der neue Haarschnitt ist?“
Lukas Weber grinste.
„Vielleicht hatte ihr Zittern auch eine ganz andere Ursache.“
Tatsächlich, die Nervosität der Hausherrin hatte einen anderen Grund gehabt als Webers kecken Haarschnitt undkam wenig später auf zwei dunkel behaarten Beinen, ein kleines Handtuch um die nackten Hüften geschlungen, die Treppe herauf. Und auch Marianne Lorenz gesellte sich mit wirr um den Kopf stehenden Haaren wieder zu Weber und Anna.
Der unbekannte Mann blinzelte, ging nun zur Anrichte hinüber, wo er seine Brille zur Hand nahm, die er sich anschließend aufsetzte.
„Das ist Herr Wieland, ein Mitarbeiter unserer Bank“, stellte Marianne Lorenz den Saunagänger vor.
Anna hatte durchaus schon von geschäftlichen Besprechungen in der Sauna gehört, allerdings waren in diesen Fällen die Voraussetzungen und Hintergründe etwas andere gewesen. Das Bild der trauernden Witwe war für sie jedenfalls um eine Facette reicher geworden.
„Kommen Sie doch bitte mit ins Wohnzimmer.“
Marianne Lorenz stellte den Fernseher aus und schickte ihre Kinder in ihre Zimmer hinauf.
„Gibt es etwas Neues?“
„Nein, eigentlich nicht. Aber wir wollten noch einmal nachfragen, ob Ihnen nach unserem letzten Gespräch vielleicht noch etwas eingefallen ist. Hat es in den Tagen vor dem Mord wirklich keinerlei Auffälligkeiten gegeben, Frau Lorenz? Zum Beispiel Anrufe, bei denen aufgelegt wurde, sobald Sie sich gemeldet haben? Oder an ihren Mann adressierte Post, die ihn vielleicht irgendwie beunruhigt oder die er vor Ihnen zu verbergen versucht hat?“
„Nein, Torsten war wie immer. Natürlich habe ich die Tage vor seinem Tod noch einmal Revue passieren lassen, aber es bleibt dabei. Mir ist wirklich nichts Besonderes aufgefallen.“
Inzwischen hatte sich auch der mittlerweile wieder bekleidete Banker zu ihnen gesellt und sich neben Marianne Lorenz gesetzt.
„Worum geht es hier eigentlich“, fragte er mit einem Blick zu Lukas Weber.
„Sie sind ein Freund der Familie, Herr Wieland?“
„Ich kenne Frau Lorenz seit vielen Jahren, Herr Kommissar, und bin ihr dabei behilflich, ihre finanziellen Angelegenheiten zu regeln.“
„So, wie Sie vorher Ihren Mann berieten?“
„Als Hausbank von Herrn Lorenz fühlen wir uns nach seinem Tod auch der Familie gegenüber verpflichtet.“
Da Weber den Saunagänger daraufhin ungläubig musterte, fügte Wieland hinzu: „Hier auf dem Land gehen die Uhren eben etwas anders.“
Den langen Rückweg in die Stadt hinein kam Weber immer wieder mit einem breiten Grinsen auf diesen Punkt zu
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