Liebeskuenste
gestikuliert sie in meine Richtung. Ich gehe zu ihr, nehme ihr den Hörer aus der Hand und melde mich: »Hier Gina Theiß. Was kann ich für Sie tun?«
»Guten Tag! Mein Name ist Miriam Liebig. Sind Sie Harrys Nachfolgerin?«
Als ich dies bestätige, fährt sie fort: »Meine Agentur vertritt Roman Hagen.« Sie wartet auf eine Reaktion.
»Roman Hagen? Sie meinen den Maler?« Gespannt halte ich den Atem an.
»Genau den. Ich würde gerne in Ihrer Galerie vorbeikommen, um mit Ihnen persönlich zu sprechen. Wann wäre es Ihnen möglich?«
Am liebsten würde ich »Jetzt sofort!« in den Hörer rufen, doch ich halte mich zurück. Keinesfalls will ich übereifrig erscheinen, so, als würde ich nach einem Auftrag gieren.
Zu meiner Überraschung fragt sie: »Passt es Ihnen schon heute?«
»Aber ja!« Hoffentlich höre ich mich nicht zu enthusiastisch an.
»Also dann, um fünfzehn Uhr in der Galerie.«
Mein »Auf Wiedersehen« hört sie nicht mehr; sie hat bereits aufgelegt.
»Was war das denn?« Karens Augen funkeln vor Aufregung. »Frau Gubitz meint, dass Roman Hagens Agentin am Telefon war. Sag bloß, dass der Meister persönlich sich für unsere Galerie interessiert! Der Mann ist so berühmt, dass sogar eine Kunstbanausin wie ich ihn kennt!«
Als ich nicke, sagt Karen entschlossen: »Also, mich bringen heute keine zehn Pferde weg. Ich bleibe hier sitzen, bis er persönlich hereinspaziert. Eigentlich hab ich mir für heute Nachmittag tausend andere Dinge vorgenommen, aber die können warten! Ich hab noch nie einen Promi kennengelernt, und schon gar nicht bin ich mit einem auf Tuchfühlung gegangen.«
»Und das wirst du auch heute nicht«, dämpfe ich ihre Begeisterung. »Ich glaube nicht, dass Roman Hagen selbst erscheint, er wird seine Agentin schicken. Sie hat mit keinem Wort erwähnt, dass ihr Klient sie begleitet.«
»Aber genau das könnte passieren!«, mischt sich Frau Gubitz ins Gespräch. »Wissen Sie denn nicht, dass der Maler und Harry gute Bekannte waren? Er hat sogar einige seiner frühen Werke für ihn verkauft. Herr Hagen war auch bei der Trauerfeier anwesend. Haben Sie ihn denn nicht erkannt?«
Ich schüttle den Kopf. Weder habe ich den berühmten Maler dort erwartet und erst Recht habe ich mich nicht nach ihm umgeschaut. Mir war noch nicht einmal bewusst, dass mein Onkel solche wichtigen Bekanntschaften pflegte. Vielmehr dachte ich bis eben, dass vor allem junge, brotlose Künstler zu seinen Schützlingen zählten.
Als hätte die alte Dame meine Gedanken erraten, sagt sie ernst: »Ihr Onkel war in der Kunstszene sehr bekannt und außerordentlich beliebt. Viele Künstler sind ihm zu großem Dank verpflichtet; er hat geholfen, wo er nur konnte. Roman Hagen war nicht immer eine Berühmtheit. Während seiner Anfangszeit in München konnte er sich kaum Farben und Leinwand leisten. Harry hat sich ihm gegenüber stets großzügig gezeigt. Herr Hagen war dafür dankbar und hat es Harry nie vergessen!«
Da ein so wichtiger Termin ansteht, nehme ich Besen und Schaufel und drücke den anderen beiden Staubwedel und Eimer in die Hand. Zu dritt beginnen wir mit der Reinigung des Ladenlokals. Penibel achte ich darauf, meine Kleidung nicht zu beschmutzen, denn ich will schließlich bei den bevorstehenden Verhandlungen einen guten Eindruck hinterlassen.
Kurz vor drei Uhr beenden wir unsere Aufräumarbeiten. Ich kann keine große Verbesserung feststellen, aber immerhin ist die Galerie nun sauber, das Büro einigermaßen aufgeräumt. Ich bitte die beiden anderen, sich im Hinterzimmer aufzuhalten und mich das Gespräch mit Frau Liebig allein führen zu lassen. Dann wasche ich mir noch schnell die Hände, überprüfe im Spiegel Make-up und Frisur, lege hastig ein wenig Lipgloss auf und streiche die Bluse glatt. Ich bin bereit für den großen Augenblick.
Pünktlich um fünfzehn Uhr öffnet sich die Tür. Eine schlanke, hochgewachsene Dame in einem streng geschnittenen Kostüm und mit leicht verkniffener Miene betritt die Galerie. Ihr folgt ein Mann, den ich auf den ersten Blick für ein Männermodel halte. Auch er ist groß, misst bestimmt über einen Meter fünfundachtzig, und wirkt athletisch und durchtrainiert. Sein dunkles Haar ist modisch zerzaust, der Blick auf seinem leicht gebräunten Gesicht wirkt gelangweilt, fast eine Spur arrogant. Die Kleidung ist elegant und lässig zugleich: dunkle Hosen, weißes Hemd; den edlen Kaschmirpullover trägt er locker über die Schulter geworfen. Ihn umgibt eine Aura
Weitere Kostenlose Bücher