Liebeskuenste
nichts von Computern gehalten; alle Aufzeichnungen sind in schön geschwungener Handschrift geschrieben und fein säuberlich in Ordnern abgeheftet. Hier erkenne ich die Arbeit von Frau Gubitz, denn ich kann mir nicht vorstellen, dass mein Onkel einen derart akribischen Schriftverkehr pflegte.
Die nächsten zwei Stunden verbringen wir gebeugt über Geschäftsunterlagen. All diese Dinge sind Neuland für mich, und ich zwinge mich zur Konzentration, denn Ablage, Buchhaltung und Bilanzen gehören nicht zu meinen Lieblingsbeschäftigungen.
Frau Gubitz hingegen geht ganz in ihrer Aufgabe auf. Sie erklärt, notiert Hinweise und Tipps für mich und wird nicht müde, mir endlose Zahlenkolonnen zu präsentieren. Zum Schluss zeigt sie mir die Kundenkartei, die ich flüchtig überfliege.
Schließlich erhebe ich mich mit schmerzendem Rücken und brennenden Augen. Zahlen tanzen durch meinen Kopf, und meine Kehle fühlt sich rau und trocken an.
Artig bedanke ich mich bei Frau Gubitz und verabrede mich mit ihr für den nächsten Tag. Noch längst hat sie nicht alles Wissenswerte an mich weitergegeben; es gibt noch so vieles zu besprechen. Aber für heute reicht es mir.
Während ich die Straße entlangschlendere, bemerke ich mein Spiegelbild in einem der Schaufenster und stutze. Hm! Jeans, ein einfaches T-Shirt, Sneakers, die Haare zum schlichten Pferdeschwanz gebunden. Wirklich keine besonders glamouröse Aufmachung. Ob man mich in diesem Aufzug ernst nehmen wird als Galeristin? Wohl kaum. Und mein Kleiderschrank gibt nicht viel Spektakuläres her. Außer einem Sommerkleid und zwei kurzen Röcken findet sich dort nichts anderes als praktische Alltagskleidung, geeignet für den Hörsaal, aber sicher nicht für eine angesagte Kunstgalerie.
Spontan ändere ich meine Pläne und steuere einen kleinen Laden an, der für preiswerte Second-Hand-Markenkleidung bekannt ist. Durch Onkel Harrys großzügiges Erbe verfüge ich unverhofft über genügend Bargeld, um mir ein paar schöne Dinge leisten zu können.
Die Boutique liegt versteckt in einem Hinterhof, doch das Sortiment ist exklusiv. Ich staune über das umfangreiche Angebot an eleganten Abendkleidern, schicken Kostümen, Hosenanzügen, Jacken, Mänteln und sogar Trachtenmoden. Selbst Handtaschen, Schals, Seidentücher und Schuhe stapeln sich in den Regalen. Begeistert probiere ich ein Teil nach dem anderen und entscheide mich schließlich für ein tiefblaues Armani-Kostüm in der Farbe meiner Augen, einen stylischen Hosenanzug von Bogner, ein auffälliges rotes Seidenkleid, das sich wie eine zweite Haut an meinen Körper schmiegt, zwei Paar Pumps und eine modische Handtasche. Zu guter Letzt überredet mich die Verkäuferin noch zum Kauf von drei weißen Spitzenblusen, die ihrer Meinung nach hervorragend zu Kostüm und Hosenanzug passen.
Mit vier Tüten beladen verlasse ich hochzufrieden die Boutique, folge abermals einer plötzlichen Eingebung und betrete den Friseursalon im Vorderhaus. Ich bin irgendwie in Stimmung, meinen Typ komplett zu verändern, die biedere Studentin soll in eine aparte Geschäftsfrau verwandelt werden.
Skeptisch betrachtet der Friseur meinen zusammengebundenen Schopf, löst die Spange und kommentiert trocken: »Ein Pferdeschwanz ist eine Frisur für ein Pony, nicht für eine schöne junge Frau!«
Voller Elan schreitet er zur Tat. Meine Zotteln weichen einer seidigen Mähne, die weich über meine Schultern fließt. Nach nur neunzig Minuten blickt mir eine völlig veränderte Frau aus dem Spiegel entgegen, und der Friseur ist außer sich vor Begeisterung über sein Werk und meine Verwandlung.
»Ein wenig Make-up würde Ihren aparten Typ noch mehr zur Geltung bringen. Nur ein Hauch Mascara und Lidschatten, etwas Rouge und Lipgloss, und Sie wären absolut unwiderstehlich«, meint er mit Kennermiene. Noch bevor ich zugestimmt habe, steht schon ein junges Mädchen mit einer riesigen Lackkassette neben mir. Einige Pinselstriche, ein wenig Farbe auf Wangen und Mund, und ich erkenne mich kaum wieder.
»Sensationell!« Darüber sind sich Meister und Azubi einig und beglückwünschen sich gegenseitig zu ihrer Leistung, die graue Maus in eine Femme fatale umgestylt zu haben.
Tatsächlich fühle ich mich wie neugeboren. Am liebsten würde ich auf der Stelle in Kostüm und Stilettos steigen, um diesen völlig neuen Stil auszukosten. Doch bevor ich mich hemmungslos dem ungewohnten Luxus hingebe, habe ich noch etwas zu erledigen.
Leise bimmelt die Türglocke, als
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