Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
Frau neben Lukas erkannte Mathilde sofort: die Gefängnispsychologin. Schon wieder. Sie war auf mehreren Fotos zu sehen, meistens an der Seite von Lukas, oder sie sicherte andere Leute bei irgendwelchen Klettereien. Zuerst also eine Jugendliebe, später, so wie es aussah, seine Mitarbeiterin, und dann arbeitete sie auch noch in dem Gefängnis, in dem er einsaß. War sie seine heimliche Geliebte, seine Komplizin bei dem Versuch, sie, Mathilde, zu schröpfen? Warum hatte die Frau sie dann in dem Café vor Lukas gewarnt?
Sie rief die Suchmaske des örtlichen Telefonbuchs auf und gab den Namen Treeske Tiffin ein. Nichts, weder in der Stadt Hannover noch in der Region. Kein Wunder – in ihrem Beruf war eine Geheimnummer bestimmt unerläßlich. Aufs Geratwohl versuchte sie es in Celle. Dort gab es einen Anschluß auf den Namen Heiner Tiffin, und zwar in derselben Straße, in der Lukas gewohnt hatte. Lukas in der zwölf und sie in der Hausnummer elf. Gegenüber. Nachbarskinder.
So war das also. Sie überlegte gerade, ob ihr dieses Wissen irgendwie von Nutzen sein konnte, als das Telefon schon wieder läutete. Hatte Spatzenhirn Brigitte etwas vergessen, oder war ihr am Ende gar etwas eingefallen, orakelte Mathilde und nahm ab.
Es war Lukas.
»Du wolltest mich sprechen«, sagte er.
Sie bemühte sich, ihre Stimme sachlich klingen zu lassen. »Meinst du nicht, wir sollten über das alles mal in Ruhe reden? Du kannst nicht einfach mein ganzes Geld nehmen. Du hast meine Unterschrift gefälscht, du schickst mir Verträge, die ich unmöglich unterzeichnen kann …«
»Mathilde«, unterbrach er. »Hast du dieser Tage mal mit Leona gesprochen?«
Was wollte er denn von Leona?
»Nein«, sagte sie zögernd. »Schon länger nicht mehr, wieso?«
»Machst du dir keine Sorgen um sie?«
»Doch, aber …«
»Ich weiß, wo sie ist.«
»Ja? Wo denn?«
»Verstehst du nicht? Nur ich weiß, wo sie ist. Und es geht ihr gerade nicht besonders gut.«
»Was soll das heißen?«
»Du überweist noch heute die zweihundertzwanzigtausend Euro auf mein Konto in Marseille, und ich sage dir, wo Leona ist.«
»Was?«
»Du hast mich schon verstanden. Die Nummer steht auf einem Zettel in deinem Nachttisch. Und geh nicht zur Polizei. Du würdest es bereuen. Und auch keine Mätzchen mit der Bank. Erst wenn das Geld in Sicherheit ist, erfährst du, wo Leona ist.«
»Aber das geht nicht«, rief Mathilde. »Das Geld liegt fest. Es muß erst auf mein Konto überwiesen werden, und das wird heute nicht mehr möglich sein.«
Zeit zu schinden war in solchen Fällen immer eine gute Strategie, das wußte Mathilde aus einschlägigen Filmen.
»Versuchs einfach.«
»Nein«, sagte Mathilde.
»Nein?«
»Nein. Ich möchte zuerst ein Lebenszeichen von ihr haben.«
»Zu viele Krimis geschaut, was?« hörte sie ihn lachen.
»Erst will ich wissen, daß sie lebt und daß du mich nicht anlügst«, sagte Mathilde und legte auf.
Treeske war ein ergiebiges Studienobjekt. Lukas konnte sie mit wenigen Worten in den Himmel heben oder verstört am Boden zurücklassen. Die Mischung aus kindlicher Naivität und weiblicher Raffinesse, die sie an den Tag legte, um ihm zu gefallen, amüsierte ihn – einen Sommer lang.
Dann kam ihr Vater hinter das Verhältnis und drohte Lukas mit einer Anzeige, wenn er nicht sofort die Finger von seiner Tochter ließe. In ihrer Verzweiflung gab Treeske Lukas zu verstehen, daß sie nichts dagegen hätte, sollte ihrem Vater Ähnliches widerfahren wie seinem Angelfreund. Diesem Risiko wollte sich Lukas jedoch nicht aussetzen. Außerdem ließ er sich nicht gerne vorschreiben, was er zu tun hatte. Hinzu kam, daß sie ihm allmählich auf die Nerven ging. Vor ein paar Tagen hatte sie ihm eine Szene gemacht. Anscheinend hatte sie ihn mit einer Studentin im Auto fahren sehen. Richtig hysterisch war sie geworden, als sie sich bei den Kaninchenställen getroffen hatten. Nachdem er sie mehrmals vergeblich dazu aufgefordert hatte, nicht so laut zu sein, mußte er ihr schließlich eine scheuern, damit sie wieder zur Vernunft kam. Danach war sie weggerannt, und jetzt zog sie es vor zu schmollen. Wahrscheinlich würde sie in ein, zwei Tagen hündisch ergeben zurückgekrochen kommen. Und genau so würde er sie dann auch behandeln. Aber das kannte er alles schon, und es langweilte ihn.
Überhaupt herrschte in den Tagen des ausklingenden Sommers plötzlich Ödnis und Leere in seinem Leben. Die Vorlesungen, die bald wieder anfangen würden, fesselten
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