Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
waren.«
»Ich dachte nicht, daß es Sie interessiert, wenn Opa vom Krieg erzählt.«
»Warum sind Sie eingetreten?«
»Warum«, wiederholte er. »Immer brauchen Sie ein Warum. Es gab verschiedene Gründe und dazu ein paar romantische Vorstellungen.«
»War es denn romantisch?«
»Nicht sehr. Aber zumindest macht mir heute das harte Bett nicht viel aus.«
In welchen Kriegen hatte er gekämpft? Hatte er Menschen getötet? Darüber hatte er sich bisher ausgeschwiegen.
Möchten Sie, daß ich Ihnen von einem meiner Morde erzähle?
Sie sah ihn an und begegnete dem ruhigen Blick seiner stählernen Augen, als er sagte: »Ich habe meinen Vater umgebracht.«
»Ah, ja?«
»Sie wollen nicht wissen, warum?« Er schien überrascht.
»Bestimmt ein ödipales Motiv.«
»Mag sein«, lachte er. »Es war einfach immer schlechte Stimmung im Haus, wenn er da war. Er war oft da, besonders im Winter, wenn auf dem Bau wenig los war. Ich habe nie verstanden, wieso meine Mutter bei einem Mann geblieben ist, der keine Achtung vor ihr hatte. Würden Sie das tun?«
»Natürlich nicht«, antwortete Mathilde. »Aber das kann man nicht vergleichen. Ihre Mutter hat vielleicht keine Alternative gesehen. Oder sie wollte die Familie zusammenhalten.«
»Was gab es denn da zusammenzuhalten?«
Mathilde suchte nach einer Gefühlsregung in seinem Gesicht, aber sie fand nur ein sarkastisches Mundwinkelzucken.
»Wie haben Sie Ihren Vater umgebracht?« fragte Mathilde. Sie glaubte ihm nicht. Hatte in dem Artikel nicht etwas von einem Treppensturz gestanden?
Er lehnte sich zurück. Er sprach nicht laut, das tat er ohnehin nie, aber es schien ihn auch nicht zu kümmern, ob ihn außer Mathilde noch jemand hören konnte.
»Jedes verdammte Mal, wenn sie sich nach ihren Krächen und Prügeleien wieder versöhnt hatten und ein bißchen Geld im Haus war, kochte meine Mutter seine Lieblingsgerichte. An diesem Abend war es Szegediner Gulasch. Es gab sogar eine Flasche Amselfelder dazu oder auch zwei. Später als ich im Bett lag, hörte ich durch die Wand, wie sie es miteinander trieben.« Er unterbrach sich, seine Augen erforschten Mathildes Gesicht. »Ist es Ihnen unangenehm, wenn ich darüber rede?«
»Vielleicht können wir die Details der Versöhnung überspringen, wenn sie für den Fortgang der Handlung nicht wichtig sind«, schlug Mathilde vor.
»Okay. Ich wußte, daß er hinterher immer aufstand, zum Kühlschrank ging und ein kaltes Bier runterschüttete. Aber diesesmal war kein Bier im Kühlschrank. Es war nur noch welches im Keller.« Er hielt inne, und es schien, als erinnere er sich an etwas Schönes. »Ich hörte, wie er die Kühlschranktür öffnete und fluchte. Dann das Quietschen der Kellertür, gleich darauf seinen Schrei. Ich hatte die Sechzig-Watt-Birne der Treppenbeleuchtung gegen eine Fünfundzwanziger ausgetauscht und eine durchsichtige Plastiktüte auf die Stufen gelegt. Steile Stufen aus Beton. Als ihn meine Mutter fand, lag er unten vor den Bierkästen. Passenderweise. Sein Genick war gebrochen.«
»Sie konnten nicht wissen, daß der Sturz tödlich enden würde«, wandte Mathilde ein.
»Stimmt, ein gebrochenes Bein hätte mir auch schon Vergnügen bereitet.«
»Hätte er dann nicht erst recht mit schlechter Laune zu Hause gesessen?«
»Ich wollte ihn leiden sehen.«
»Was, wenn er die Tüte bemerkt hätte?« fragte Mathilde.
»Sie müssen immer alle Wahrscheinlichkeiten abklopfen, nicht wahr?«
»Das ist vermutlich eine Berufskrankheit.«
»Ich gebe zu, daß es nicht der perfekte Mordplan war«, räumte er ein. »Aber ich war schließlich erst elf.«
Mathilde nickte. Sicher war es ein Unglücksfall gewesen, und er hatte sich im nachhinein eingeredet, ihn verursacht zu haben. So lange, bis er selbst daran glaubte. Kinder reagierten oft in dieser Weise auf Situationen, in denen sie sich ohnmächtig fühlten. Das hatte sie einst an sich selbst beobachtet: In der ersten Klasse hatte ein Schüler
Mathildes Ranzen über einer Pfütze ausgeleert. Mathilde hatte Merle erzählt, sie habe den Jungen dafür windelweich geprügelt. In Wirklichkeit war sie nur wütend und schluchzend nach Hause gelaufen.
»Was ist mit Ihrem Bruder passiert?« fragte Mathilde.
Was war das in seinen Augen? Überraschung? Oder sogar ein Hauch von Schrecken?
Mathilde saß mit dem Rücken zur Tür. Nun hörte sie Schritte hinter sich, nahm einen Luftzug wahr, dann spürte sie, wie ihr jemand mit der Faust auf den Hinterkopf schlug, fühlte Hände,
Weitere Kostenlose Bücher