Liebeslänglich: Kriminalroman (German Edition)
antwortete nicht.
»Sind Sie so leicht in die Flucht zu jagen? Dann hätte dieses kleine Biest ja erreicht, was es wollte.«
»Diese Frau ist mir egal. Aber ich fühlte mich bloßgestellt vor diesen Leuten.«
»Finden Sie nicht, daß es uns egal sein kann, was diese Kretins über uns denken?«
»Hm«, machte Mathilde. Intimitäten in der Öffentlichkeit hatte sie schon immer abgelehnt, und es war ihr nicht egal, was andere über sie dachten.
»Irgendwann werden wir uns wieder küssen, allein«, sagte er.
Sie schwieg. Ein Schwall Hitze überflutete sie, und sie erinnerte sich daran, wie sich sein Körper angefühlt hatte.
»Werden Sie wiederkommen?«
»Ah, Frau Klosa, gut, daß ich Sie hier sehe.«
Marion, die gerade auf ihr Auto zuging, blieb stehen. Treeske Tiffin war kurzatmig, sie mußte ihr nachgelaufen sein. Sie trug einen langen, schwarzen Mantel. Ihr Gesicht war blaß und noch schmaler als beim letztenmal, als hätte sie eine Diät hinter sich.
»Was macht der Strafgefangene Feller, gibt es Neuigkeiten?«
»Es sind keine neuen Zöpfe mehr gekommen«, sagte Marion Klosa. Warum rief sie sie nicht während der Dienstzeit an, wenn sie etwas über Feller erfahren wollte?
»Gibt es sonst irgendwelche Vorkommnisse?«
»Gestern gab es einen Zwischenfall. Die Dame, die ihm den Zopf geschickt hat, hat sich in den Besucherraum gemogelt und Fellers Besucherin tätlich angegriffen. Man mußte sie gewaltsam entfernen.«
»Wer ist die Frau, die Feller besucht hat?«
»Keine Ahnung. Anscheinend eine Neue. Ich habe sie noch nicht gesehen. Aber sie soll schon älter sein, so um die Vierzig. Paßt ja nicht so recht ins Beuteschema«, bemerkte Marion Klosa.
»Danke, Frau Klosa«, sagte Treeske Tiffin. »Schönen Feierabend.«
Marion nickte, stieg ins Auto und fuhr rasch davon.
Treeske Tiffin ging zur Besucherpforte.
»Wir speichern aber nur Name und Wohnort«, sagte die Beamtin.
»Das reicht schon.«
Mathilde saß in Ingolf Keusemanns pseudo-antik eingerichtetem Büro. Ihr Vorgesetzter thronte hinter seinem überfüllten Schreibtisch, er hatte die Fingerspitzen aneinandergelegt, was immer auf eine heikle Angelegenheit hindeutete.
»Was ist passiert?« fragte Mathilde.
Keusemann sah sie an und seufzte. »Es fällt mir nicht leicht, mit Ihnen dieses Gespräch zu führen, Mathilde, aber ich muß es tun. Es geht das Gerücht um …«, er unterbrach sich und rückte seine randlose Brille zurecht. »Also, jemand hat beobachtet, daß Sie vor einigen Tagen in der JVA Hannover einen Häftling besucht haben.«
»Ist das verboten?«
»Nein, natürlich nicht.«
»Schön«, sagte Mathilde nur. Sie ahnte, was kommen würde und war nicht bereit, ihm das Stichwort zu liefern.
»Nun, Sie haben den Mann nicht nur besucht, es soll zu … ähem … zu Intimitäten gekommen sein.«
Mathildes Mund verengte sich zu einem Strich, aus dem sie hervorpreßte: »Wer behauptet so etwas?«
Keusemann antwortete nicht, aber das mußte er gar nicht, denn jetzt fiel ihr ein, woher sie den jungen Mann kannte, der sie angegrinst und später »Claudine!« gerufen hatte. Das war der Sohn von Corinna Roth gewesen. Ein ehemaliger Schüler des Lise-Meitner-Gymnasiums, wenn auch nicht aus ihrer Klasse. In der Zehnten abgegangen, angeblich wegen schlechter Noten.
Keusemann blinzelte nervös. »Mathilde, wir sind eine Privatschule, der Ruf unserer Lehrkräfte ist unser Kapital …«
Mathilde war immer stolz darauf gewesen, sich nicht in eine bequeme A-13-Existenz eines Beamten geflüchtet zu haben. Nun war sie nahe daran, dies zu bereuen.
»Ach«, unterbrach sie Keusemann. »Aber eine Lehrkraft, die als Mutter offenbar so versagt hat, daß ihr Sohn schon mehrfach straffällig geworden ist, die ist weiterhin tragbar für eine solche Schule? Die Roth wird ihren Sprößling doch auch schon mal in der JVA besucht haben, meinen Sie nicht? Mir drängt sich der Eindruck auf, hier wird mit zweierlei Maß gemessen, Herr Direktor Keusemann.«
»Söhne kann man sich nicht aussuchen, Männer schon«, schoß Keusemann zurück. »Frau Roth verläßt die Schule überdies zum Ende des Schuljahres. Aber ich gebe Ihnen völlig recht, Mathilde. Es war und ist eine Belastung für die Reputation unserer Schule. Schon deshalb können wir uns nicht noch einen derartigen Fall leisten.«
»Ich bin also bereits ein Fall .«
Ingolf Keusemann erhob sich von seinem Schreibtisch und begann im Zimmer auf und ab zu laufen. Mathilde saß mit verschränkten Armen da und
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